„Enough of this Madness“ und „Make Nigeria Safe Again“ stand auf Plakaten, die Demonstranten am vergangenen Dienstag durch die Wirtschaftsmetropole Lagos trugen: Schluss mit dem Irrsinn, macht Nigeria wieder sicher. Zehntausende waren auf den Straßen von Afrikas bevölkerungsreichstem Staat unterwegs – auch in der Hauptstadt Abuja, wo Erzbischof Anselm Umoren gemeinsam mit weißgekleideten Priestern einen Protestzug von Tausenden schwarzgewandeter Christen anführte, „um für die Opfer der barbarischen und satanischen Morde zu beten“.
Die Demonstranten befürchten einen weiteren religiösen Konflikt. Bereits seit Jahren tyrannisieren die Islamisten von Boko Haram den Norden des Landes; rund 20.000 Menschen fielen dem Gemetzel bereits zum Opfer. Nun häufen sich die Massaker auch im Herzen Nigerias, wo die Konflikte zwischen Viehhirten und Ackerbauern zunehmen.
Am Tag der Massenproteste wurden im nigerianischen Bundesstaat Benue die beiden katholischen Priester Joseph Gor und Felix Tyolaha und 17 weitere Gläubige beigesetzt. Vor einem Monat waren sie Opfer eines Blutbads geworden, das aufgehetzte Muslime in dem Dorf Mbalom angerichtet hatten. Am 24. April hatten Bewaffnete eine Kirche während der Frühmesse gestürmt, um sich geschossen und waren danach mit Geld, Wertgegenständen und dem Kommunionswein getürmt.
So schlimm war es noch nie
Gor galt als junger und charismatischer Priester, der sich in der Nachbarschaft beliebt gemacht hatte, indem er zum Beispiel einen Fernseher mit Satellitenschüssel aufstellte, damit die Menschen Fußball gucken konnten. Tyolaha hatte erst kurz zuvor einen Angriff von schwerbewaffneten Viehhirten überlebt. Ihr Tod erschütterte das Land. Präsident Muhammadu Buhari nannte den Überfall „abscheulich und satanisch“ und vermutete, er sei ausgeübt worden, um Hass zwischen Christen und Muslimen zu säen.
Dabei ist der Anschlag auf die Kirche kein Einzelfall. Erst in der Silvesternacht waren in Benue 79 Bauern abgeschlachtet worden. Die nigerianische Armee entsandte daraufhin Truppen in den betroffenen Bundesstaat, aber auch in die benachbarten Staaten Nasarawa und Taraba. Die Täter waren Angehörige des muslimischen Fulbe-Stammes, einem einst nomadischen Hirtenvolk, das sich auf die gesamte Sahelzone von Mauretanien bis zum Sudan verteilt und schon im 19. Jahrhundert maßgeblich für die Ausbreitung des Islams in Nigeria verantwortlich war.
Am 20. April wurden im Zamfara-Bundesstaat dreißig Menschen massakriert und am 5. Mai mindestens 48 bei einem Überfall in der Stadt Gwaska, rund 330 Kilometer nordwestlich von Abuja. Damit bestätigt sich eine Tendenz, die schon seit Jahren zu beobachten ist. Während es zwischen 2007 und 2011 in Nigeria zu 67 blutigen Auseinandersetzungen zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern kam, waren es in den Jahren zwischen 2012 und 2018 bereits 716, mehr als zehn Mal so viel also wie in den sechs Jahren davor. Doch so schlimm wie derzeit war es noch nie. Von Januar bis Ende April wurden in Nigeria bei Kämpfen zwischen Viehhirten und Ackerbauern 937 Menschen getötet und allein im Benue-Staat 170.000 vertrieben.