Was war zuerst da: die Henne oder das Ei? Tag oder Nacht? 9/11 oder Islamfeindlichkeit? Als Konsens gilt: Der Anschlag auf die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York am 11. September 2001 hat zu Islamfeindlichkeit im Westen geführt. Stimmt das? Oder konnte die Lüge des angeblich islamistischen Anschlags gegen die USA nur durch die vorhandene Islamfeindlichkeit in die Welt gesetzt und geglaubt werden?
Der 11. September 2011: Es war ein Dienstag und dienstags hatte ich immer schulfrei. Mein Bruder rief mich zu sich, zeigte auf den Fernseher und sagte plump: „Guck!“ Breaking News. Ein Passierflugzeug war in einen der Türme des World Trade Centers gekracht. Über Nacht hatte sich mein Mathematiklehrer in einen Islamexperten verwandelt. Er erzählte am nächsten Tag von der Terrorgefahr, die von Muslimen ausginge, und über die Jubelrufe aus einem palästinensischen Dorf. Bald schon befand ich mich im Verhör. Mehrmals musste ich mir von kopfschüttelnden Mitschülern anhören: „Was habt ihr nur gemacht?“ Ich hatte kein Alibi, ich hatte an dem Tag frei gehabt und keine Zeugen, also musste ich als Schuldiger aus der Mathematikstunde gehen. Mit dem World Trade Center sank auch die Hemmschwelle vor Islamfeindlichkeit zu Boden.
Viele Muslime mussten nach dem 11. September 2001 Ähnliches durchmachen. Islamfeindlichkeit wurde salonfähig. Hatten die Islamfeinde doch ein starkes Argument: 9/11. Aber so ein Anschlag kann nicht von heute auf morgen ganze Gesellschaften gegen eine Religion aufhetzen. Auch 9/11 ist keine Sache von einem Tag. 9/11 war nur möglich, weil die Islamfeindlichkeit im Westen schon eine tausendjährige Tradition hatte.
Auch heute noch wird die steigende Islamfeindlichkeit der letzten Jahre mit 9/11 begründet. Im Intro der ARD Dokumentation Der Islamreport vom September 2016 heißt es: „Der 11. September war die Zeitenwende. In Deutschland wurden Muslime auf einmal misstrauisch angeschaut.“ Auch viele Muslime betrachten 9/11 als Ursache für die Islamfeindlichkeit. Dabei gibt es im Westen, Europa und USA, Islamfeindlichkeit schon seit über tausend Jahren.
In seinem Essay Die älteste Karikatur Muhammads dokumentiert Claudio Lange zahlreiche Steinfiguren von Kathedralen, die den Propheten Muhammad (s.) verhöhnen. Jene Steinfiguren an Kirchen waren die Medien von damals. Nur wenige konnten lesen, also wurde das Feindbild mittels Steinfiguren verbreitet. An der Fassade der Saint-Pierre Kirche in Frankreich (siehe Bild), hängt seit dem 12. Jahrhundert die älteste Muhammad-Karikatur. Claudio Lange beschreibt diese Steinfigur, die er „Akrobat“ nennt, als „die lächerlichste Figur des Propheten des Islams und seiner Anhänger überhaupt“. Die Figur soll den Propheten Muhammad als Epileptiker darstellen. Lange schreibt weiter: „Alles Islamische wäre […] mit dieser Krankheit behaftet, die vielfältigen Verrenkungen zahlreicher Steinfiguren wären […] Synonym für einen Muslim, welcher der Lehre eines Besessenen Folge leistet.“ Laut Lange nährte aber auch die Kreuzritterliteratur die Islamfeindlichkeit. Sie dämonisierte den Islam und bezeichnete Moscheen als Teufelshäuser und diskriminierte die Muslime als Teufelsverehrer. Aufgehetzt gegen den Islam und die Muslime verübten die Kreuzfahrer unzählige Pogrome gegen Muslime.
Auch bei Martin Luther (1483-1546) finden sich zahlreiche Schriften, in denen er Islamfeindlichkeit verbreitet. Der Berliner Professor für Soziologie, Achim Bühl, dokumentiert in seinem Buch Islamfeindlichkeit in Deutschland die feindliche Haltung Luthers gegenüber dem Islam. Hierzu hat Bühl die Schriften und Reden von Luther auf ihre Islamfeindlichkeit untersucht. In einer anschaulichen Liste fasst Bühl seine Ergebnisse zusammen:
- Luthers Ansichten zum Islam
Der Islam als intolerante Religion; der Islam unterdrückt andere Religionen; Islam als falscher Glaube, das Christentum als der wahre Glaube; der Islam als unvereinbar mit dem Christentum; der Islam als antichristliche Religion; der Islam als Irrlehre, der Islam als Abfall und Lästerung von Jesus Christus. - Luthers Meinung zum Qur’an
Der Qur’an als Fälschung der Bibel (Plagiatsvorwurf). - Luthers Bild vom Gottesgesandten Muhammad (s.)
Muhammad als Leugner des Kreuzestodes Jesu; Muhammad als Gottesleugner im Sinne der Dreifaltigkeit.
Karl May (1842-1912) ist bekannt für seine Cowboy- und Indianer-Romane. Laut Wikipedia ist er „einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller.“ Und weiter: „Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland.“ Karl Mays Geschichten aus dem Orient fanden weite Verbreitung. Darin verbreitete Karl May Islamfeindlichkeit und ein Islambild, das bis heute nachwirkt. Muslime gelten in seinen Romanen als rückständig und gewalttätig. Der Theologieprofessor Thomas Naumann beschreibt Karl Mays Romane, in denen es um Muslime geht, wie folgt: „Nirgends lässt sich so gut illustrieren wie an den orientalischen Erzählungen und Romanen von Karl May, was der deutsche Kleinbürger über den islamischen Orient zu wissen glaubt.“ So bediente sich Karl May in seinen Romanen der Islamfeindlichkeit, die zu seiner Zeit bereits weit verbreitet war.
Dies sind nur Bruchstücke einer langen islamfeindlichen Tradition in Europa. Islamfeindlichkeit ist kein neues Phänomen. 9/11 hat zwar dazu geführt, dass Islamfeindlichkeit unkritischer hingenommen wird. Aber 9/11 war nicht ihre Ursache. Vielmehr konnten durch die bereits latent vorhandene Islamfeindlichkeit viele Bürger im Westen einfacher gegen die Muslime gehetzt werden. Nicht 9/11 hat die Grundlage für Islamfeindlichkeit geschaffen. Sondern die bereits vorhandene islamfeindliche Grundlage ermöglichte, dass die Lüge 9/11 bei den meisten Menschen überhaupt Resonanz gefunden hat und so den folgenden Kriegen gegen die Muslime der Weg bereitet wurde.