Wie die Ahlulbayt Nachrichtenagentur ABNA berichtet, In Europa leben derzeit mehr als 13 Millionen Menschen muslimischen Glaubens. Mehr als 5 Millionen Muslime leben in Deutschland, in Frankreich sind es mit 6 Millionen deutlich mehr. Das bedeutet: Die Zahl der in Europa lebenden Muslime entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Luxemburg und Belgien zusammen. Damit sind Muslime mittlerweile ein fester Bestandteil der europäischen Gesellschaften geworden. Sie prägen den Kontinent nicht nur kulturell, sondern gestalten durch zunehmend repräsentative und öffentlich sichtbare Moscheen auch die sakrale Architektur Europas mit.
Im heutigen Europa sind zahlreiche Moscheebauwerke vorzufinden. In Frankreich gibt es schätzungsweise 1.600 Moscheen und andere muslimische Gebetshäuser, in England sind es über 1.200, in Belgien mindestens 400 und auch in Deutschland gibt es etwa 2.600 Moscheen. Ungefähr 350 dieser Moscheen wurden im klassischen Stil erbaut und sind mit Kuppel und Minarett ausgestattet.
Traditionell, kombinatorisch und modern
Die zahlreichen Moscheen Mittelleuropas sind im Wesentlichen durch drei verschiedene Baustile geprägt: Der traditionelle Kuppelbau mit Minarett (z. B. die Şehitlik-Moschee in Berlin) ist der in Europa bekannteste Moschee-Baustil. Der zweite Baustil vereint die traditionelle Moschee-Architektur mit Elementen der europäischen Architektur (Beispiele hierfür sind etwa die Moscheen in Genf und Wien sowie die Zentralmoschee in Köln). Hier kann von einer Art „kombinatorischem oder „synthetischen“ Moschee-Baustil gesprochen werden. Der letzte Baustil schließlich weist keinerlei traditionelle Bauelemente auf: Er orientiert sich vielmehr an der zeitgenössischen modernen Architektur. Ein Beispiel für diesen Baustil ist die Moschee von Penzberg in Oberbayern, die von dem Architekten Alen Jaserevic entworfen und im Jahr 2005 gebaut wurde. Diese Moschee wurde ohne traditionelle Elemente wie die Kuppel erbaut.
Unter den muslimischen Gemeinden und Architekten gibt es sowohl Gegner als auch Befürworter dieser verschiedenen Bautendenzen. Während viele eine Kombination aus traditioneller und moderner Moschee-Architektur befürworten, fordern andere ein Festhalten am traditionell-islamischen Baustil.
Wird ein öffentliches Gebäude errichtet, so ist die Umgebung gezwungen, es als solches anzusehen. Damit trägt ein Architekt eine große Verantwortung, denn durch den Bau eines neuen Gebäudes wird gleichzeitig auch die Umgebung umgestaltet. Die Verantwortung wird umso größer, wenn eine Moschee entworfen und errichtet werden soll. Denn hier müssen neben der Umgebung besonders auch die Nutzer berücksichtigt werden. Schließlich soll ein Gebetshaus in erster Linie die Betenden ansprechen, mit seiner Gestaltung und Ausschmückung nicht fremd wirken und ein Gefühl von Heimat vermitteln.
Verschmelzung von Tradition und Moderne
In Mittelleuropa vollzieht sich in der muslimischen Gemeinschaft gegenwärtig ein Wandel: Muslime der frühen Einwanderergesellschaft, die einst als „Gastarbeiter“ in gemieteten Wohnungen lebten, sind heute in der Lage, eigene Immobilien zu erwerben. Sie sehen sich also schon längst als „Einheimische“. Auch die steigende Anzahl an neuen Moscheen und muslimischen Friedhöfen machen diese Entwicklung deutlich. Die seit den 1990er und 2000er Jahren verwirklichten Moscheebauprojekte mit ihrer je eigenen Lösung des Problems der Verbindung von Tradition und Innovation, sei es in Deutschland oder in ganz Europa, sind ein eigenes und daher beachtenswertes Phänomen der zeitgenössischen Moscheearchitektur.
In einigen Jahrzehnten wird man sicherlich von der spezifischen Moschee-Architektur, welche die türkisch-muslimische Bevölkerung in Europa entwickelt hat, als „traditionelle Moscheearchitektur europäischer Muslime“ sprechen. Man kann nur wünschen, dass in jedem dieser Bauwerke ein Schritt weiter in Richtung einer selbstbewussten, traditionellen und gleichzeitig zeitgemäßen Formensprache gefunden wird, welche es vermeidet, in die Falle der Wiederholung und Imitation zu treten und welche die Materialien und Herangehensweisen unserer Zeit mit offenen Armen annimmt und so in jedem Werk auf einzigartige Weise die Einheit (Tawhîd) erkennen lässt. Die größte Herausforderung dabei ist, dass die mittlerweile in den Ländern Mitteleuropas sesshaft gewordenen Muslime sich ihres eigenen reichen kulturellen Erbes bewusst werden und dieses reflektieren und weitergeben.
Der berühmte Architekt Sinan und sein Baustil
Der bekannte osmanische Meisterarchitekt Sinan (ca. 1490-1588) zählt heute zu den größten Baukünstlern der Welt. Die von Sinan entworfenen Moscheen, die Harmonie ihrer Kuppeln und das ausgewogene Maß ihrer Minarette zum Beispiel, sind viel mehr als nur ein Ausdruck eines bestimmten regionalen Baustils oder einer ethnischen Zugehörigkeit. Der Meisterarchitekt Sinan vermochte es, in seinen unzähligen Moschee-Bauwerken in jeweils einzigartiger und an die lokalen Begebenheiten angepasster Weise religiöse Werte und vor allem die göttliche Einheit (arab. Tawhîd) sinnlich erfahrbar zu machen. Jenseits von Nachahmung und Abbildung machten seine architektonischen Gesamtkunstwerke ihn zu einem der bedeutendsten Baumeister seiner Zeit.
Architekten wie Sinan, der nicht nur ein Baumeister war, sondern auch über ein universales mathematisches, philosophisches und religiöses Wissen verfügte, sollten in der heutigen Zeit als wegweisende Vorbilder in Architektur und Kunst dienen. Die Frage, wie ein Meister wie Sinan sich den heutigen architektonischen Herausforderungen beim Bau europäischer Moscheen gestellt hätte, kann zeitgenössischen Architekten von Moscheen einen Weg aufzeigen.
Vermutlich wird sich eine zeitgenössische Moschee-Architektur in Europa erst dann entwickeln, wenn aus den Reihen der in Europa lebenden türkeistämmigen Muslime Architekten und Künstler hervorgehen, die es schaffen, die europäische Kultur mit der Herkunftskultur zu verbinden und in Einklang zu bringen. Darüber hinaus muss ein Architekt darauf vertrauen, dass die Entwicklung neuer architektonischer Moschee-Baustile möglich ist, ohne dabei die Werte der islamischen, oder auch der regionalen Kultur zu verletzen.
Etablierung einer europäischen Moscheearchitektur
Die Moscheearchitektur ist nicht statisch; Baustile und Gestaltungsformen können verändert und erweitert werden. Denn bei einem Moscheebauwerk sollte man nicht nur die architektonische Gestaltung, also das „äußere Erscheinungsbild“ oder gar nur das „Minarett“ betrachten. Viel wichtiger ist, zu erkennen, was die Menschen, besonders die Betenden in einer Moschee anspricht. Daher sollte der Architekt unbedingt auch die „spirituelle“ Ebene einer Moschee berücksichtigen. Auf dem Weg zu neuen Moscheebauten ist der konstruktive Dialog zwischen Architekten und Kunsthistorikern, sowie Religionsgelehrte und den Gemeinden unerlässlich.
Die Etablierung einer eigenen Formensprache für die europäische Moschee-Architektur muss unter Betrachtung vieler verschiedener Komponenten vonstatten gehen. Schließlich erstreckt sich der Moscheebau über unterschiedliche Bereiche der Kunst und Kultur bis hin zu Musik und Literatur. Das bedeutet: Eine Moschee-Architektur, die von der in Europa lebenden muslimischen Religionsgemeinschaft mehrheitlich anerkannt werden soll, braucht eine tiefgründig zivilisierte Identität und eine fundierte philosophische und spirituelle Perspektive. Für eine derartige Perspektive bedarf wiederum tiefer Einblicke in die eigenen religiösen und kulturellen Wurzeln sowie des kritischen Blickes auf die vorherrschende Kultur, ohne dabei vorurteilsbehaftet zu sein. Dann werden in Zukunft in Europa Moscheen entstehen, die tradierte Elemente auf originelle Weise mit neuen, zeitgenössischen Elementen vereinen und selbstbewusst für eine eigene Ästhetik der türkisch-islamischen Moschee-Architektur in Europa stehen.
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