Fortbildungszentren. So nennt die chinesische Regierung die Umerziehungslager in Xinjiang, in denen Schätzungen zufolge bis zu eine Million Muslime festgehalten werden. Diese Bezeichnung könnte nun eine neue Bedeutung erlangen. Denn nach Recherchen der „New York Times“ und der „Financial Times“ gibt es Hinweise, dass manche Insassen in den Lagern oder in nahe gelegenen Fabriken Zwangsarbeit leisten müssen.
Zu solchen Hinweisen zählt zum Beispiel ein offizielles Dokument der Distriktregierung von Kashgar, in dem im August das Ziel ausgegeben wurde, 100.000 Insassen, die die „Fortbildungen“ erfolgreich durchlaufen hätten, in Fabriken unterzubringen. Ähnlich hatte sich der Regierungschef der Region Xinjiang, Shohkrat Zakir in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Xinhua im Oktober geäußert: Er sagte, Ende dieses Jahres würden einige der „Auszubildenden“ ihre „Fortbildung“ abschließen. Die Regierung sei dabei, Arbeitsplätze für sie zu schaffen und Firmen anzuwerben, die gemäß den „Fähigkeiten der Auszubildenden“ Investitionen tätigen sollten.
Die Frage aber ist: Können die Betroffenen ihren Arbeitsplatz frei wählen? Dürfen sie nach der Arbeit nach Hause gehen? Und verdienen sie marktübliche Gehälter? Die „Financial Times“ hat mit Angehörigen von sechs Lagerinsassen gesprochen, die nach deren Angaben in Textilfabriken arbeiten. Sie alle werden demnach gegen ihren Willen festgehalten. Manchmal dürften sie Besuch von Verwandten erhalten oder mit ihnen telefonieren. Die Gespräche würden jedoch überwacht, so dass es kaum möglich sei, offen zu sprechen. In einem Fall ist die Rede von einem Monatsgehalt von umgerechnet 83 Euro, in einem anderen Fall von Arbeit ohne Bezahlung.
Immer mehr Fabriken auf dem Gelände von Umerziehungslagern
Diese Angehörigen von Betroffenen leben in Kasachstan. In China sind solche Interviews kaum möglich, da Journalisten in Xinjiang auf Schritt und Tritt überwacht werden und Gesprächspartner Repressionen fürchten müssten. Die „New York Times“ zitiert den in der Türkei ansässigen Zentralasien-Forscher Mehmet Volkan Kasikci mit ähnlichen Aussagen. Auch er hat außerhalb Chinas mit Angehörigen von Insassen gesprochen, die in Textilfabriken arbeiten. Bestätigt wird dies von der kasachischen Organisation Atajurt Kazakh Human Rights, die ebenfalls über solche Fabriken berichtet.
Auf Satellitenbildern lässt sich erkennen, das manche der Fabriken auf dem Gelände von Umerziehungslagern errichtet wurden. Die „New York Times“ hat zudem herausgefunden, dass einige Unternehmen in diesem Jahr im Firmenregister aufgenommen wurden, die als ihren Sitz die Adresse eines Umerziehungslagers angegeben haben. Darunter sind laut der Zeitung eine Druckerei, eine Nudelfabrik und mehrere Textilfabriken.