Was haben ein Papst aus dem 19. Jahrhundert und der türkische Präsident Erdogan gemeinsam? Der Versuch, die Situation von Muslimen in Deutschland zu verstehen, führt manchmal in die Vergangenheit. Der Historiker Wolfgang Benz etwa sieht Parallelen zwischen Juden im Deutschen Kaiserreich und muslimischen Migranten heute. Thomas Großbölting und Daniel Gerster vom Centrum für Religion und Moderne (CRM) an der Universität Münster ziehen einen anderen Vergleich heran: Auch sie sind im 19. Jahrhundert im Kaiserreich fündig geworden, sehen die Ähnlichkeiten aber zwischen den Katholiken damals und Muslimen in der Bundesrepublik. Ihre These besagt, dass beiden Minderheiten vorgeworfen wurde und wird, in einer „Parallelgesellschaft“ zu leben.
Die protestantische Mehrheitsgesellschaft im Kaiserreich begegnete den Katholiken mit Argwohn. Es sei sogar vom „Blick der Katholiken“ die Rede gewesen, der ihre Falschheit offenbare, sagt Großbölting. Verstärkt wurden die Vorurteile durch den Kulturkampf, in dem unter Reichskanzler Otto von Bismarck der Staat gegen die katholische Kirche vorging. „Wenn Sie als Protestant im 19. Jahrhundert auf ein katholisches Dorf gucken, dann tun Sie das immer mit einer vereinheitlichenden Tendenz“, sagt der Historiker: Die Katholiken haben ein Bildungsdefizit, heiraten untereinander, verehren Heilige und hantieren mit Amuletten; wobei mit Letzterem vor allem Rosenkränze gemeint waren. Schaut heute ein Angehöriger der deutschen Mehrheitsgesellschaft auf einen Straßenzug in seiner Stadt, in der Dönerbuden und Läden für türkische Brautmode überwiegen, sind die Schlussfolgerungen schnell gezogen: Die Kinder gehen nicht aufs Gymnasium, der Vater ist ein Patriarch, die Frau trägt Kopftuch und spricht kaum Deutsch. Außerdem bleiben alle unter sich.