Die Leibwächter von Thilo Sarrazin blicken deutlich finsterer drein als jene von Frank-Walter Steinmeier. Offenbar orientieren sie sich an ihren Herren. Während der Bundespräsident freundlich lächelnd in den Frankfurt Pavillon der Buchmesse marschiert, um mit zwei Schriftstellern über die Frage zu diskutieren, wie die Freiheit in stürmischen Zeiten verteidigt werden kann, schaut Sarrazin drei Stunden später und einhundert Meter entfernt im Lesezelt griesgrämig bis abweisend auf die Zuhörerschaft.
Sarrazins tendenzieller Missmut mag daher rühren, dass er nichts zu lachen hat beziehungsweise sieht. Schließlich, so die Hauptthese in seinem neuen Buch „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ kämpft er gegen den Untergang des Abendlandes, das von einem geistig rückständigen, aber dafür gebärfreudigen Islam überrollt zu werden droht. „Der Islam ist keine Religion der Toleranz und des Friedens, sondern eine Gewaltideologie.“
„Eine Faszination des Autoritären“
Steinmeier hingegen sieht im Frankfurt Pavillon Deutschlands und Europas Freiheit und Demokratie eher durch die Populisten bedroht, die vielerorts auf dem Kontinent an Zustimmung gewännen: „Da weht eine Faszination des Autoritären in weiten Teilen Europas.“
In einem stimmen die Messebesucher Sarrazin und Steinmeier freilich überein: Sie werfen beide den Medien vor, die Wirklichkeit im Land falsch darzustellen. Dem Eindruck des Bundespräsidenten zufolge erwecken Zeitungen, Fernsehen und Rundfunk den Eindruck, als sei Deutschland schon nahezu von denen beherrscht, welche die Demokratie zu Fall bringen wollten. Über die Normalität, dass Hundertausende unspektakulär täglich etwa als Ehrenamtler oder Kommunalpolitiker dafür sorgten, dass die Menschen gerne hier lebten, komme dagegen in den Medien zu wenig zu Sprache. Sarrazin dagegen ist der Ansicht, dass Zeitungen und Rundfunksender die Gefahren für das Land und seine Demokratie untertreiben oder gleich ganz verdrängen. In den Besprechungen seines Buches hätten die Kritiker sich vor allem daran gestört, dass er den Koran gelesen habe, ohne Arabisch zu verstehen. Doch den Kern seiner „empirisch dichten“ Untersuchung, nämlich dass der Islam nicht „demokratiekompatibel“ sei, hätten die Journalisten nicht analysiert. Sie sagten fast alle nur: „Weiter so wie bisher.“
Zwei Sozialdemokraten, unterschiedliche Ansichten
Eine Gemeinsamkeit teilen Steinmeier und Sarrazin: Sie sind beide Sozialdemokraten, auch wenn Steinmeier als Bundespräsident seine Mitgliedschaft in der SPD ruhen lässt. Nicht ausgeschlossen, dass sie schon dienstlich miteinander zu tun hatten: Denn als Sarrazin von 2002 bis 2009 als Finanzsenator die Schulden Berlins verwaltete, arbeitete Steinmeier als Chef des Bundeskanzleramtes Gerhard Schröder zu und vertrat von 2005 an im ersten Kabinett Merkel Deutschland als Außenminister.
Man darf durchaus vermuten, dass Steinmeier nicht gerade glücklich darüber ist, dass Sarrazin sich weiterhin seinen Genossen nennen darf. Der gehört übrigens mittlerweile an die 45 Jahre der SPD an, wie er den Zuhörern im Lesezelt in seiner abgelesenen Rede mitteilt. Wäre die SPD 2010 ihm und seinen Thesen im Buch „Deutschland schafft sich ab“ gefolgt, stünden sie jetzt nicht am Abgrund und es würde keine AfD geben.
Nach dieser Argumentation müsste der Bundespräsident jetzt eigentlich nur Sarrazins neues Buch lesen, dann hätte er ein Rezept gegen den wachsenden Populismus. Doch vermutlich zählt er den Autor zu den Beförderern des Populismus. Aber was hat Steinmeier am Ende der Gesprächsrunde im Frankfurt Pavillon den Zuhörern geraten? „Miteinander sprechen.“