Von Constantin Schreiber, ARD-aktuell
Als Seyran Ates vor einem Jahr die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee eröffnete, löste das einen Aufschrei aus, gerade auch in muslimischen Ländern. Eine Frau als Imam! Männer und Frauen (ohne Kopftuch) beten gemeinsam! Eine Moschee offen für Homosexuelle! Morddrohungen und eine Fatwa aus arabischen Ländern, aber auch Anfeindungen aus türkischen Communities in Deutschland waren die Folge.
Die heftigen Reaktionen auf die "liberale Moschee" stehen in starkem Kontrast zu ihren bescheidenen Räumen in Berlin-Moabit. Durch einen schmalen Eingang auf der Rückseite einer Kirche geht es über etwas abgetretene Stufen in einen schlichten, hellen Raum, ausgelegt mit weichem Teppichboden. Eine Holzinstallation rechts neben dem Eingang weist die Richtung gen Mekka.
Seyran Ates hat ihr Büro unter dem Dach des Kirchenanbaus. Heute, ein Jahr nach der Eröffnung, ist sie stolz. "Die Moschee ist eine Erfolgsgeschichte", sagt sie. "Es kommen immer mehr Menschen zu uns und wir erhalten inzwischen auch zunehmend positive Rückmeldungen aus muslimischen Ländern. Sie schreiben uns: 'Was ihr tut, können wir hier nicht. Bitte machen Sie weiter.'"
Islamwissenschaftlerin: "'Liberal' ist ein schwieriges Wort"
Inzwischen besuchten 750 Menschen pro Monat die Moschee, Tendenz steigend. Ein junges Paar steht im Eingang. Sie Deutsche, er aus dem Irak. Er habe über die Moschee gelesen und wollte diesen Ort selber einmal sehen, sagt er. Er findet es "mutig", was Frau Ates macht.
Moscheegemeinden in Deutschland stehen - wieder einmal - im politischen Fokus. Gerade wurden im Nachbarland Österreich sieben Moscheen schlossen. Man wolle keine "Parallelgesellschaften" dulden, hieß es zur Begründung. Von solchen Maßnahmen ist man in Deutschland weit entfernt. Aber sowohl das Misstrauen vonseiten vieler Deutscher als auch Angriffe auf Moscheen nähmen in starkem Maße zu, erklären muslimische Verbände.
In diesem politischen Klima erregt eine "liberale" Moschee Aufsehen, weil es so scheint, als würde hier die Symbiose von westlichen Werten und islamischer Theologie vollzogen. Doch so einfach sei das nicht, bemerkt die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus: "'Liberal' ist ein schwieriges Wort, weil es so viele unterschiedliche Deutungen zulässt; von Neo-Liberalismus über liberale Politik zu liberalen Lebensentwürfen."
Die Positionen von Seyran Ates hält sie nicht in jedem Fall für liberal. Ates äußert sich kritisch zum muslimischen Kopftuch und ablehnend zur Vollverschleierung. "Das ist nicht wirklich freiheitlich orientiert", meint Spielhaus, "sondern tritt eher für Kontrolle von Religion ein."
Muslimische Jugendliche trugen Debatten in die Moscheen
Es gebe in vielen muslimischen Gemeinden vermehrt aktive Diskussionen über liberale, westliche Werte und die muslimische Lehre. "Mit den muslimischen Jugendlichen in Deutschland passiert gerade viel. So wuchs in DITIB-Gemeinden in den vergangenen Jahren eine Generation von Muslimen heran, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und die Diskussionen etwa über Feminismus und Homosexualität in die Gemeinden getragen hat," sagt Spielhaus. "Diese Kräfte wurden jüngst durch die türkische Politik aus den Gemeinden gedrängt. Diese jungen Muslime sind aber weiterhin hier aktiv und engagieren sich."
Die Politik tut sich nach wie vor schwer in der Zusammenarbeit mit muslimischen Gemeinden - und sucht Ansprechpartner noch immer vor allem im Bereich der muslimischen Verbände. Die repräsentieren jedoch noch einen kleinen Teil der Muslime in Deutschland.
Seyran Ates kritisiert, dass sie von der deutschen Politik nicht ernst genommen werde. Mehr noch, ihr schlage häufig Widerstand entgegen: "Einzelne Politiker bezeichnen liberale Muslime wie mich als islamophob. Die Grünen etwa kämpfen für das Kopftuch an Schulen in Berlin, weil sie das als Minderheitenschutz begreifen. Das setzt moderne Muslime unter Druck."
Zum Integrationsgipfel im Kanzleramt in der vergangenen Woche war Ates nicht eingeladen. Es ist nicht das erste Mal, dass man sie ignoriert. Demotiviert sei sie trotzdem nicht, sagt die streitbare Anwältin. Denn: "Ich glaube weiter fest an die deutsche Gesellschaft."