AhlolBayt News Agency (ABNA)

source : Islam.de
Samstag

5 Mai 2018

06:35:25
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Deutschland

Islam-Institut: Noch nicht alle Ziele erreicht

Seit fünf Jahren kann man Islamische Theologie in Osnabrück studieren. Doch die Absolventen haben es nicht leicht.

Das Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück steht mitten in der Innenstadt. Mitten in der Gesellschaft: Das war die Idee bei der Wahl des Standorts. Seit fünfeinhalb Jahren gibt es das Institut jetzt. Es ist das größte seiner Art. Am Mittwoch haben Dozenten, Studenten, Wissenschaftler anderer Universitäten und Vertreter aus der Politik den fünften Geburtstag des Instituts mit einem Festakt nachgefeiert. Doch die Freude ist getrübt. Denn eines der Hauptziele des jungen Instituts ist noch längst nicht erreicht: Ein Teil der Absolventen wollen und sollen in islamischen Gemeinden arbeiten. Als deutschsprachige Seelsorger, Gemeindepädagogen oder Imame. Dort landen sie aber - gerade als Imame - nur selten. Denn die Gemeinden haben kaum Geld, um die deutschen Akademiker zu bezahlen.

Appell an die Politik

"Wir müssen dringend darüber nachdenken, wie wir Imame finanzieren können. Ansonsten ist das Projekt gescheitert", sagt Rauf Ceylan, Professor für Religionspädagogik. Er appelliert damit an die Politik und fordert einen innerislamischen Dialog. Das Theologie-Studium ist nur ein Teil der Imam-Ausbildung. Um Prediger zu werden, müssen die Absolventen eine Zusatzausbildung in der Religionsgemeinschaft machen. Vergleichbar mit einem Referendariat bei Lehrern. Und dafür fehlt den kleinen muslimischen Gemeinden ebenso das Geld wie für die weitere Beschäftigung.

Imame kommen oft aus der Türkei

Deshalb kommen die Imame in deutschen Moscheen oft aus dem Ausland, meist aus der Türkei. "Es wäre sicher einfacher, wenn stattdessen Osnabrücker Absolventen predigen würden", sagt Avni Altiner. Er war Vordenker und Antreiber des Theologie-Studiums in Osnabrück und von 2012 bis 2016 Vorsitzender des Landesverbands der Muslime, Schura. Die Predigten und Inhalte türkischer Imame seien so, als ob die Betenden in der Türkei lebten, in einem muslimischen Land, so Altiner. "Aber wir leben in einer säkularen, christlichen und auch multikulturellen Gesellschaft. Das ist ein Riesen-Unterschied."

Imam werden meist nur Männer

Die Islamische Theologie ist eine junge Wissenschaft. Deutschlandweit gibt es nur fünf Standorte. Momentan studieren in Osnabrück gut 450 Studenten. Fast alle von ihnen sind Muslime. Zwei Drittel von ihnen sind Frauen. Damit ist das Imam-Thema längst nicht für alle karriererelevant. Denn ähnlich wie bei den Katholiken ist es auch im Islam unüblich, dass Frauen predigen. Es gebe allerdings wenige Ausnahmen, sagt Esnaf Begić, Dozent für Islamische Theologie. "Frauen können zum Beispiel für weibliche Gruppen Imam werden."

Gelehrt wird ein pluralistischer Islam

Die Islamische Theologie gehört zur Uni, wie auch die evangelische und die katholische Theologie. Die wissenschaftlichen Fragestellungen ähneln sich. Interreligiöse Arbeit hat einen wichtigen Stellenwert im Lehrplan. Gelehrt wird ein pluralistischer Islam, der der deutschen und der europäischen Lebenswirklichkeit entsprechen soll. "Kritiklos alles aus der islamischen Tradition zu übernehmen, entspricht nicht unserem Selbstverständnis", sagt Begić. "Ansonsten werden wir aus der Gesellschaft herausgerissen. Wir würden eine islamische Theologie in einem Elfenbeinturm betreiben. Und das wollen wir nicht." Am Ende ihres Studiums sollen die Absolventen einen reflektierten Zugang zu den Quellen des Islams gelernt haben, so Begić.

Politik unterstützt das Institut

Die Politik unterstützt das Institut seit seiner Gründung. Denn seine Aufgabe ist von gesellschaftlicher Relevanz. Nicht nur, weil hier Vertreter eines pluralistischen Islams ausgebildet werden. Ob Koranwissenschaften, Islamische Geschichte oder Religionspsychologie: Die Studenten lernen, kritisch zu hinterfragen und können ihr Wissen auch einsetzen, um sich Vorurteilen zu stellen.

Den Vorurteilen Fakten gegenüberstellen

"Ich habe angefangen, hier zu studieren, weil ich meine Religion auf wissenschaftlicher Ebene lernen will. Dann kann ich den Menschen, die nicht Muslime sind, ihre Fragen zu dem Islam wissenschaftlich beantworten", sagt Studentin Kübra-Nur Görmez. Die Debatten in Politik und Gesellschaft wissenschaftlich aufzuarbeiten und zu begleiten - genau das sei Aufgabe der Islamischen Theologie, sagt Martina Blasberg-Kuhnke, Vizepräsidentin der Universität Osnabrück. Wichtige Themen seien beispielsweise der Salafismus, der Extremismus und die Radikalisierung von Jugendlichen, so Blasberg-Kuhnke.

Austausch in der Region

Anti-islamische Tendenzen, rechtsextreme und rechtspopulistische Stimmen oder die breite Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht: "Manchmal ist das resignierend", sagt Esnaf Begić. Aber der Austausch besonders in der Region bringe viel. Davon ist der Theologe überzeugt. "Wir sind regional eingebunden und können solchen Tendenzen entgegenwirken." Auf Bundesebene sei das aber nicht immer fruchtbar. Für Vizepräsidentin Blasberg-Kuhnke ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Islam ein wichtiger Schritt, dass "der Islam wirklich zu Deutschland gehört".

Bilanz: Stolz und Kritik

Gut fünf Jahre nach der Eröffnung des Instituts in Osnabrück sind die Verantwortlichen stolz. Darauf, dass die insgesamt sieben Studiengänge gut ausgelastet sind, dass es die ersten fertigen Doktorarbeiten gibt und dass nur wenige Studenten ihr Studium abbrechen. Im kommenden Jahr soll die Ausbildung islamischer Sozialarbeiter starten. Die gibt es bisher nicht. Die ersten Absolventen der Islamischen Theologie sind jetzt bereit für den Arbeitsmarkt. Politik, Medien, Wissenschaft: Auch außerhalb der muslimischen Gemeinden werden sie Arbeitsplätze finden. Doch das soll nicht so bleiben. "Es müssen Strukturen geschaffen werden. Von großer Bedeutung wäre die Schaffung eines Imamseminars", sagt Dozent Begić. Und auch Professor Ceylan kritisiert: "Die Hauptidee war von Anfang an, den Einfluss des Auslands einzudämmen und deutschsprachige Imame in Deutschland einzustellen. Darüber hat sich die Politik aber keine Gedanken gemacht."