"Das Kopftuch - das bin ich", sagt die 16-jährige Schülerin Ikram Outtaleb. Weil sie sich weigerte, ihre Kopfbedeckung abzunehmen, musste sie ihr Praktikum in einem katholischen Kindergarten vorzeitig beenden. Foto: Rothe
Von Anica Edinger
Heidelberg. Ikram Outtaleb ist 16 Jahre alt - und sie trägt Kopftuch. Aus Überzeugung. Und von Herzen. "Das Kopftuch gibt mir Sicherheit", sagt die Schülerin, "das Kopftuch bin ich." Genau das wurde ihr jetzt zum Verhängnis. Am Montag trat die Elftklässlerin ihre Praktikumsstelle im katholischen Kindergarten St. Marien im Pfaffengrund an. Nach wenigen Stunden wurde sie von der Kindergartenleiterin wieder nach Hause geschickt. "Sie hat mich vor die Wahl gestellt: Entweder ich ziehe das Kopftuch aus, oder ich gehe nach Hause", berichtet Ikram. Sie entschied sich für Letzteres.
Vor gut zwei Monaten hatte sich die Muslimin um die Stelle beworben, sich persönlich in der Einrichtung im Pfaffengrund, die sie als Kind selbst besuchte, vorgestellt. Die ausgefüllte Praktikumsbescheinigung des Kindergartens holte Ikram erst vor wenigen Wochen dort selbst ab. Gemeinsam mit einer Freundin sollte sie am Montag die Stelle antreten - so wie alle Schüler der elften Klasse der Marie-Baum-Schule, die in dieser Woche ihre Pflicht-Sozialpraktika in verschiedenen Einrichtungen absolvieren. Doch daraus wurde nichts.
"Ich war am Boden zerstört", sagt Ikram im Rückblick. Nicht nur, dass sie es riskierte, einen Zeugniseintrag zu bekommen. Das Verhalten der Kindergartenleiterin erschütterte sie auch in ihren Grundüberzeugungen. "Noch nie hat mich jemand aufgefordert, mein Kopftuch abzuziehen", sagt sie, "ich war schockiert und verletzt." Sie findet: "In Deutschland sollte doch jeder seine Religion frei ausüben dürfen."
Tatsächlich traf der Bundesgerichtshof erst im November 2016 eine Grundsatzentscheidung: Erzieherinnen muslimischen Glaubens dürfen in Kindergärten ein Kopftuch tragen - jedenfalls in den öffentlichen. Kirchliche Arbeitgeber sind die große Ausnahme. Im Arbeitsrecht genießen sie erhebliche Freiheiten. Dazu zählt auch, dass sie von ihren Mitarbeitern verlangen dürfen, dass sie zahlende Mitglieder der Kirche sind. Eine Entscheidung dazu verkündete erst am letzten Dienstag der Europäische Gerichtshof: Demnach müssen kirchliche Arbeitgeber unter Umständen auch Konfessionslose einstellen.
Nur: Im Fall der 16-jährigen Ikram handelte es sich nicht etwa um eine Festanstellung, sondern um ein gerade mal einwöchiges Praktikum. Ihre Mutter Souuad Outtaleb findet daher: "Man hätte ein Auge zudrücken können." Über eines ärgert sich die Familie besonders: Wieso hat man Ikram die Stelle nach den persönlichen Gesprächen überhaupt zugesagt? Diese Frage hat die Schülerin auch an die Kindergartenleiterin gestellt. Und die reagierte so: "Sie hat gesagt, sie habe das Kopftuch bei dem Treffen übersehen", berichtet Ikram. Sie selbst hält das für ausgeschlossen: "So etwas kann man doch nicht übersehen."
Ikram ist ein cleveres Mädchen - und selbstbewusst. Auch wegen ihres Kopftuchs. Mit 15 Jahren traf sie die bewusste Entscheidung, ab sofort die Kopfbedeckung zu tragen. "Meine Eltern haben zu mir gesagt, ich soll noch ein bisschen warten." Doch Ikram fand das Kopftuch "schön und elegant" - fortan gehörte es einfach zu ihr. "So wie sich andere Mädchen jeden Morgen schminken, ziehe ich mein Kopftuch an", sagt die 16-Jährige. "Das verstehen die meisten Leute nicht: Es hat nichts mit Zwang zu tun." Ihre eigene Mutter habe erst mit Mitte 20 angefangen, Kopftuch zu tragen. Überhaupt: Die marokkanische Familie ist religiös, aber auch weltoffen und tolerant gegenüber anderen Religionen.
Ikram wurde wie ihre vier Geschwister in Heidelberg geboren, ihre Mutter arbeitet im Altenheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Pfaffengrund, wo die Familie auch lebt, ihr Vater bei Odenwald-Chemie, ihr älterer Bruder steckt gerade mitten in den Abitur-Prüfungen am Dietrich-Boenhoffer-Gymnasium in Eppelheim.
Und dennoch: Auf der Straße muss sich Ikram wegen ihres Kopftuchs nicht selten Anfeindungen von Passanten gefallen lassen: Sie wurde schon bespuckt oder übel beschimpft. "Deshalb gehe ich nicht gerne alleine raus", sagt sie. Aber in öffentlichen Einrichtungen, etwa in der Schule, fühlte sich Ikram bisher immer sicher und akzeptiert. Noch nie habe sie dort Intoleranz erfahren. Bis zum vergangenen Montag.
Ikram wollte mit der Kindergartenleiterin in den Dialog treten, hat erklärt, weshalb sie das Kopftuch trägt und es ihr so wichtig ist. "Aber sie war eiskalt", sagt Ikram. Auf RNZ-Anfrage erklärt der Pressereferent der Katholischen Stadtkirche Heidelberg, Peter Wegener: "Es handelte sich dabei um ein internes Kommunikations-Problem." Die Erzieherin, die mit Ikram und ihrer Freundin das Gespräch geführt hätte, wäre nicht die Kindergartenleiterin selbst gewesen. Dieses Missverständnis tue allen Beteiligten leid, betonte Wegener. Man werde den Fall zum Anlass nehmen, jetzt grundsätzlich zu klären, wie man mit muslimischen Praktikantinnen in den katholischen Kindergärten umgehen werde.
Für Ikram kommt das zu spät. Doch sie hatte Glück im Unglück. Als sie am Montag nach Hause kam und sich bei ihrer Mutter ausgeweint hatte, griff sie zum Telefon: Gegen 17 Uhr hatte sie eine andere Praktikumsstelle bei der Kita der AWO im Pfaffengrund. Sie sagt: "Es macht viel Spaß dort - alle sind sehr nett und offen mir gegenüber." Und wenn die Kinder sie fragen, weshalb sie so ein Kopftuch trägt, dann erklärt die junge Frau den Kleinen ihre Beweggründe.
Sie ist stolz, dass sie ihren Prinzipien im St. Marien-Kindergarten auch in dieser Extremsituation treu geblieben ist. "Ich würde es genau so wieder tun!"