In unserer Zeit lautstarker populistischer Bewegungen sehen viele Kommentatoren in der immigrationsfeindlichen Stimmung eine Gefahr für die Demokratie. „Das Einreiseverbot für Muslime wird uns weniger sicher machen und, schlimmer noch, zu einer Erosion unserer Demokratie führen“, schrieb der pensionierte CIA-Beamte Glenn Carle vergangenes Jahr, als Präsident Donald Trump versuchte, für Bürger aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern die Einreise in die Vereinigten Staaten zu erschweren.
In Großbritannien stellte der Erzbischof von Canterbury eine Verbindung zwischen Trump und dem Brexit her, beides Erscheinungen, die weitgehend aus einem Widerstand gegen Einwanderung resultierten, der Teil einer „nationalistischen, populistischen oder gar faschistischen Tradition in der Politik“ sei.
In seinem neuen Buch „Go Back to Where You Came From: The Backlash Against Immigration and the Fate of Western Democracy“ behauptet Sasha Polakow-Suransky, die Beschränkung der Einwanderung führe unausweichlich zum Tod der Demokratie. Er fragt: „Was wäre, wenn liberale Demokratien als Reaktion auf die Herausforderungen der Massenimmigration ihre Verfassungsprinzipien aufgäben und zu einer Politik der Ausschließung übergingen, die ihren langjährigen Einsatz für die Menschenrechte erodieren ließe?“ Und er meint: „Es könnte der Tag kommen, da selbst in reichen westlichen Ländern die liberale Demokratie nicht mehr die einzige Möglichkeit darstellt.“
Aber sind solche Argumente wirklich überzeugend? Die Vermengung liberaler Werte (im klassischen Sinne) mit einer liberalen Einstellung in der Einwanderungsfrage verwechselt eine politische Präferenz (die ich teile) mit einem Grundprinzip. Ein Wirtschaftsimmigrant, der in ein Land einwandern möchte, hat nicht in derselben Weise ein „Recht“ darauf, wie ein Bürger dieses Landes ein Recht auf freie Meinungsäußerung hat. Falls 99,9 Prozent der Bürger eines Landes die Meinungsfreiheit eines einzelnen unbeliebten Bürgers beschneiden oder ihm den Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren verwehren möchten, wäre es ein klarer Verstoß gegen Grundsätze der liberalen Demokratie, wenn man ihren Wünschen nachkäme.
Linke meinen, Grenzen seien unmoralisch
Von einer Beschränkung (und selbst einer vollständigen Aussetzung) der Immigration könnte man das kaum behaupten. Eine liberale Einwanderungspolitik ist keine Grundbedingung einer liberalen Gesellschaft, während solch eine Gesellschaft nahezu undenkbar wäre ohne Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Gerichte und eine repräsentative Regierung. Wenn überhaupt, wäre es die mangelnde Berücksichtigung dieser Unterscheidung und nicht eine Beschränkung der Einwanderung, die letztlich zum Tod der Demokratie führen könnte.
Politiker wie Trump, Marine Le Pen und Viktor Orbán sollten Anhänger der liberalen Demokratie nicht wegen ihrer einwanderungsfeindlichen Haltung mit Sorgen erfüllen, sondern wegen ihrer Ablehnung liberaler Grundwerte, darunter Pluralismus, Pressefreiheit, Gewaltenteilung und demokratische Vereinigungsfreiheit. Eine weithin als „populistisch“ verschriene Einwanderungspolitik (bei der es in den Vereinigten Staaten teilweise lediglich um die Durchsetzung bestehender Einwanderungsgesetze geht) ist gegenwärtig ausgesprochen populär (und oft zudem noch legal).
Auch Trumps Einreisebeschränkungen, die von liberalen Aktivisten fälschlich als „Muslim ban“ bezeichnet werden, obwohl sie die Mehrheit der Muslime gar nicht betreffen, sind weder verfassungswidrig noch undemokratisch. Eine „Erosion“ droht der Demokratie nicht durch Trumps Einreisebeschränkungen, so fehlgeleitet sie sein mögen, sondern durch die Kriminalisierung der politischen Präferenzen eines demokratisch gewählten Präsidenten.