Er ist Historiker und Gründer und Leiter des Instituts für Geschichte der arabisch-islamischen Wissenschaften. Er hat sein Leben der Erforschung der islamischen Wissenschaftskultur in arabischer Sprache gewidmet. Die Rede ist von Prof. Dr. Fuat Sezgin, der 1924 in Bitlis (Türkei) geboren wurde und heute mit seinen 93 Jahren der Pionier auf seinem Gebiet ist.
Fuat Sezgin reiste von Land zu Land, studierte rund 300.000 Schriften, Manuskripte und Karten im Original. Er rekonstruierte Hunderte von historischen Instrumenten und hat diese in seinem Frankfurter Institut und seit 2008 im Istanbuler Museum ausgestellt. Prof. Sezgin verbrachte sein ganzes Leben damit, Wissen zu sammeln und Bücher zu studieren. Hierbei verzichtete er auf Schlaf, Essen und ein gutes Gehalt.
Sein Studium begann er bei dem renommierten Islamwissenschaftler Helmut Ritter in Istanbul. 1961 kam er als Gastdozent nach Deutschland und setzte seine Forschungen an der Goethe-Universität fort, so dass er 1965 seine Professur in Geschichte der arabisch-islamischen Naturwissenschaften erlangte und sich seinen Forschungen widmete.
Das Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften
Am 10.02.1981 gründete Prof. Sezgin mit finanzieller Unterstützung von 14 arabischen Ländern und weiteren islamischen Organisationen das Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften in Frankfurt.
In den folgenden Jahren wurden dort alle älteren und antiquarische Werke auf dem Gebiet der islamischen Wissenschaftsgeschichte in mehrere Sprachen übersetzt, in chronologischer Reihenfolge kopiert und nach systematischer Anordnung geordnet. Prof. Sezgin hat im Institut eine weltweit einzigartige Sammlung von arabischen wissenschaftlichen Instrumenten und Karten zusammengetragen. Das Institut veröffentlichte einen Katalog mit 1400 Bänden über die Geschichte der islamischen Philosophie. Die Bibliothek des Instituts enthält über 25.000 Bände, etwa 300 arabische Handschriften und Mikrofilme von ca. 7.000 Handschriften. Ein Sammelschwerpunkt der Bibliothek liegt auf der arabisch-islamischen Geographie. Bereichert wird diese Sammlung durch eine Vielzahl von europäischen historischen Karten und Atlanten.
Das vergessene Wissen der Araber
Mit seinen Forschungen hat Fuat Sezgin die eurozentrische Sicht korrigiert. Immer wieder betont er, dass bedeutende wissenschaftliche Erfindungen nicht im „Westen“ entstanden sind. Prof. Sezgin zufolge stecken hinter den meisten Erfindungen wissenschaftliche Erkenntnisse und Entdeckungen muslimischer Wissenschaftler. Die Wissenschaftsjournalistin Susanne Billig hat die Forschungsergebnisse Sezgins in dem Buch „Die Karte des Piri Re’is – Das vergessene Wissen der Araber und die Entdeckung Amerikas“ (Herder Verlag, 2017) für ein breites deutschsprachiges Publikum zugänglich gemacht. „Das Buch ist von der Hoffnung getragen, dass zukünftige Generationen eine solide und breite wissenschaftshistorische Forschung für wichtig erachten werden – ohne Scheuklappen gegenüber dem großen Beitrag der arabisch-islamischen Kultur zur Geistesgeschichte der Menschheit“ (S. 288), schreibt Susanne Billig in ihrem Buch.
Haltlose Vorwürfe
Fuat Sezgin, der mit seinen Werken und Schriften Pionierarbeit geleistet und unzählige Studenten ausgebildet hat, steht im Mittelpunkt unhaltbarer Vorwürfe: „Unterschlagung von Kulturgut“ und „Verstoßes gegen das Kulturschutzgesetz“. Und dass, weil er im Istanbuler Museum für Geschichte der Wissenschaft und Technik im Islam, eine neue Bibliothek errichten wollte. In einer Videobotschaft für die 8. Stiftungsratssitzung der „Fuat-Sezgin-Stiftung zur Erforschung der Geschichte der islamischen Wissenschaften“ erklärte seine Tochter, die Schriftstellerin und Philosophin Hilal Sezgin, die Entstehung der Bibliothek ihres Vaters und erinnerte sich an Anekdoten aus ihrer Kindheit. „Das Buchbinden gehört zu meinen früheren Kindheitserinnerungen. Das Sortieren der Seiten, das Kleben, das Anfertigen des Umschlags. Oft durfte ich meinem Vater dabei helfen, wobei ich im Nachhinein sagen muss, dass meine Kinderhände eine so große Hilfe doch nicht waren.“
Den Grundstein für seine private Bibliothek legte Prof. Sezgin schon im Jahre 1940. Sezgin hat alle seine Bücher, die er gekauft, kopiert und gebunden hat, mit gelben und weißen Etiketten beschriftet und die Rechnungen aufbewahrt. Bücher, die mit gelben Etiketten markiert wurden, wurden mit dem Geld des Instituts gekauft, deren Anzahl liegt bei 15.000. Die restlichen 40.000 Bücher, die mit einem weißen Etikett versehen sind, bezahlte Sezgin aus seiner eigenen Tasche und gehören somit seiner Privatsammlung an. Diesen Bestand wollte er Anfang 2017 nach Istanbul transportieren. Doch wurde er seitens der Universität Frankfurt und dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft daran gehindert. Es seien nicht seine Bücher, die er ins Ausland bringen wolle, sondern Eigentum der Universität. Die Staatsanwaltschaft begann zu ermitteln, die Bücher wurden vom Zoll beschlagnahmt und das Institut verriegelt. Bis heute darf Prof. Sezgin, der trotz seines hohen Alters seine Arbeit fortsetzt, der Zugang zu seinen Büchern verwehrt.
Im Herbst wurden die Ermittlungen eingestellt. Nun steht aber ein neuer Vorwurf im Raum: Kulturgutdiebstahl. Aber auch diese Anschuldigung ergab sich als haltlos. Medienberichten zufolge habe das Wissenschaftsministerium im Nachhinein erkannt, dass es sich bei der wissenschaftlichen Bibliothek nicht um Kulturgut handle, sondern „ihr Wert viel mehr in ihrer Nutzung“ liege. Auch dieser Vorwurf konnte also nicht bewiesen werden. Währenddessen verwehrte man einem Menschen, der sein Leben der Wissenschaft gewidmet hatte, den Eintritt in sein persönliches Arbeitszimmer im Institut.
Ein Vorbild für Theologiestudenten
Als Student der islamischen Theologie oder Islamwissenschaften liest und hört man von muslimischen Gelehrten, die hunderte von Kilometer gereist sind, um von anderen Gelehrten zu lernen, und das ohne irgendwelche Verkehrsmittel. Genau so ein Gelehrter ist Prof. Dr. Fuat Sezgin. Er reiste in dutzende Länder, um längst vergessene Schätze der islamischen Geschichte für jedermann zugänglich zu machen. „Die Geschichte von Geographie und Kartographie zu erforschen, erfordert eine umfassende Gelehrsamkeit, über die nur ganz wenige Wissenschaftler verfügen“, schreibt der Dr. Detlev Quintern, Direktor für Lehre und Entwicklung an der Prof. Dr. Fuat Sezgin Forschungsstiftung in Istanbul, im Vorwort von „Die Karte des Piri Re’is“.
2016 hatte ich die Ehre, ihn in seinem Frankfurter Institut zu besuchen. Trotz seines hohen Alters war er dabei das 18. Band seines weltberühmten Werks „Geschichte des Arabischen Schrifttums“ (GAS) zu verfassen. Das erste Band dieses Werks wurde 1970 herausgegeben. Mit seinen 93 Jahren ist er mit seinem Fleiß und seinem Ehrgeiz noch immer ein Vorbild für alle Studierenden, die sich mit der islamischen Geschichte befassen, und alle, die unermüdlich nach Wissen streben.