Was ist Itikaf?
Itikaf wird die innere Zurückgezogenheit des Menschen in einer geweihten Moschee genannt. Hierfür ist es stark empfohlen, diese Handlungen am dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Radschab des islamischen Mondkalenders vorzunehmen. Sie werden auch die drei weißen Nächte genannt.
Die Imam Ali Moschee in Hamburg bietet dieses Itikaf bereits seit vielen Jahren an. Darüber hinaus wird die innere Zurückgezogenheit in einigen Ländern auch an den drei letzten Tagen des Monats Ramadan ausgeführt. Die wichtigste Anforderung an den Mutakif (Itikaf-Praktizierenden) ist das Fasten an allen drei Tagen. Falls man also ein Itikaf vollziehen möchte, das nicht in der Nähe der eigenen Heimatstadt liegt, ist ein Nazr (Gelübde) für das Fasten notwendig, da das Fasten normalerweise auf Reise nicht möglich ist. Einem Mutakif obliegen ähnliche Pflichten wie einem Muhrim (Pilger im Weihezustand) bei der Hadsch.
Itikaf in der Imam Ali Moschee stößt seit einiger Zeit auf ein immer stärkeres Interesse der Muslime in ganz Europa. Da die Moschee nicht genug Platz für die Vielzahl der Interessenten anbieten kann, wurde die Teilnehmerzahl begrenzt. Hierzu wurden die Plätze unter allen Angemeldeten verlost.
Es geht los
Alhamdulillah, Gott sei Dank, dieses Jahr war es endlich soweit. Ich durfte mit einigen Freunden vom 30. März bis zum 2. April am Itikaf in Hamburg teilnehmen.
In der Hamburger Moschee angekommen, sah ich bereits die „Schlange“ am Anmeldetisch – eine Masse von Menschen, die überall am Tisch herumstanden. Ich konnte den Tumult verstehen, jeder wollte dabei sein, jeder von ihnen wollte Gast im Hause Gottes sein. Einige kamen sogar ohne jegliche Bestätigung einer Teilnahme, in der Hoffnung, doch noch einen Platz zu ergattern.
Nach einer Stunde hielt ich mein Namensschild endlich in der Hand und konnte in die Moschee eintreten. Es war wiedermal ein wunderschönes Gefühl, in dieser Moschee sein zu können, hier im Hause Gottes. Es war wie ein Ticket zum intensiven Gespräch mit Allah. Zunächst folgten erst einmal wertvolle Gespräche mit vielen bekannten Gesichtern.
Jeden Morgen vor dem Morgengebet gab es Brot mit Kräutern und ein Hauptessen zur Stärkung.
Beim Morgengebet des 13. Radschab begann unsere Itikaf-Zeit. Der Azan wurde gerufen und alle freuten sich auf diese drei intensiven Tage, viele nahmen sehr weite Wege auf sich und kamen sogar aus dem Ausland, nur um das Itikaf in Hamburg miterleben zu können. Es war eine Einladung von Gott an uns, hieran teilzunehmen und diese Stimmung mitzuerleben.
Vorträge, Gesprächskreise und Fragen
Fragen, die immer wieder aufkamen, lauteten: Nun, warum bist du hier, abgeschottet von der Außenwelt? Wohin willst du nach diesen drei Tagen gehen und was sind deine Ziele für die Zukunft? Das waren die ersten Fragen, die mich im Ring der Erkenntnis (Gesprächskreis mit einem Gelehrten) zum Nachdenken brachten.
Warum sind wir alle hier?
Wir lernen uns selbst kennen. Wer bin ich wirklich und was hindert mich daran, in der Nähe Gottes zu sein? Was sind meine Fehler, was mache ich falsch? Ayatullah Ramezani sagte in einem seiner Vorträge: „Wenn ich mehr darauf schauen würde, was ich für Sünden begehe, dann bliebe mir keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, was die anderen alles für Fehler machen.“ Wir sollten unsere innere Krankheit kennen, die kein Arzt der Welt, sondern nur und nur unser Herzensarzt heilen kann und wer das ist, wissen wir alle.
Ich lernte auch die Grenzen meines eigenen Körpers kennen. Das Sitzen fiel mir nach einiger Zeit schwerer. Der Rücken machte auch nicht mehr richtig mit. Alhamdulillah, Gottes Segen ist groß, und er belohnte uns Schwestern mit erholsamen Massagen durch andere Schwestern, die sich dazu bereit erklärten.
Eine andere Frage war: Wie können wir Allah näher kommen?
Es heißt nicht umsonst: Wenn du dich mit einem Schritt in Allahs Richtung begibst, kommt Allah dir mit zehn Schritten entgegen. Aber ich muss erstmal diesen einen Schritt in Richtung Allahs gehen. Ich wollte diese Zeit nutzen. Das Rezitieren von Bittgebeten hilft einem dabei, eine intensivere Bindung zu unserem Schöpfer zu erlangen.
Im Ring der Erkenntnis sprach Scheich Muhammad Mohsen vom Öffnen der Augen im Herzen. Für mich bedeutete es das Öffnen der Liebe im Herzen, die mir Allah geschenkt hat. Den inneren Hass verdrängen und mit Liebe auf einen selbst und andere schauen. Die Augen des Herzens sind andere als die Augen im Kopf. Das Herz sieht und spürt ganz anders.
„Diejenigen, die glauben und deren Herzen im Gedenken Gottes Ruhe finden – ja, im Gedenken Gottes finden die Herzen Ruhe.“ (Quran, 13:28)
Genau um diese Erfahrung zu machen, damit das Herz Ruhe findet, fahren viele zu diesem Ort, zu dieser gesegneten Moschee, die jedem die Augen öffnet, wenn man auf Allah zugeht. Man verspürte dort eine gewisse Appetitlosigkeit in Bezug auf die irdische Welt und das innere Ich wollte für immer hier in dieser Moschee bleiben.
Oft wurde das Gottvertrauen und die Nähe zu Allah betont. Im Gespräch mit anderen Schwestern fiel uns auf, dass es in unserer Gesellschaft genau daran mangelt. All unsere gesellschaftlichen Probleme in Gemeinden, Freundschaften oder in Familien können leicht gelöst werden, wenn wir uns nur Gott zuwenden, ihm vertrauen und uns auf ihn verlassen. Alle Probleme können von uns ganz anders gesehen werden, wenn wir Allah vertrauen.
Dua von Umm Dawud und Abschluss
Kommen wir nun zum letzten Programmpunkt: das Bittgebet von Umm Dawud. Das Dua markiert den Abschluss des Itikafs und wird am dritten Tag bis zur Abendgebetszeit verlesen, womit der Zustand des Mutakif endet.
Dieses Bittgebet stammt von einer Mutter, deren ältester Sohn Dawud hieß, die aber ihren anderen Sohn, Qasim, aus einem Gefängnis befreien wollte. Imam Sadiq (a.) war es, der ihr dieses Dua empfahl.
Insgesamt dauert es etwa fünf Stunden, denn es umfasst die Lesung von nahezu einem Drittel des Qurans. Ich denke mir jedes Jahr aufs Neue: O je, schon wieder dieses lange Dua. Aber dieses Jahr war es anders. Ich freute mich tatsächlich auf dieses Dua, denn ein Gelehrter sagte zu uns: „Dieses Dua, am Ende dieser drei Tage, am Ende der intensiven Gespräche mit Gott, wird euch zeigen, wie gut ihr eure Zeit hier genutzt habt.“
Diese drei Tage waren zwar keine Hadsch, aber sie fühlten sich so an, als ob man Gott näher gekommen ist. Ayatullah Ramezani meinte: „Nach diesen drei Tagen soll man andere an Gott erinnern.“
Mögen inschallah alle Bittgebete der gläubigen Geschwister angenommen worden sein, sofern sie gut für sie waren und mögen wir uns inschallah auch im Alltag nach Gottes Nähe sehnen und danach streben.
Vergessen wir nicht unseren Imam der Zeit (a.), machen wir für ihn Dua und ändern uns selbst, damit seine Rückkehr beschleunigt wird.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass sich dieses Jahr für mich von den vorherigen Jahren unterschied und ich dieses Jahr als noch gesegneter und spiritueller empfand als die Jahre zuvor. Ich kann nur hoffen, dass ich nächstes Jahr wieder dabei sein kann.
Möge Allah alle Helfer, Organisatoren und Beteiligten dieses wunderbaren Itikafs, die aufgrund ihrer Verpflichtungen nicht teilnehmen konnten, segnen und reichlich dafür belohnen.