Am Dienstag, dem ersten Jahrestag des islamistischen Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz in Berlin, fand in der Evangelischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eine religionsübergreifende Andacht statt. Vertreter verschiedener Konfessionsgemeinschaften gedachten in der Kirche der zwölf Menschen, die der Terrorist Anis Amri vor einem Jahr getötet hatte.
Auch Mohamed Matar war dabei, ein Muslim.
Laut "Bild"-Zeitung ist der Mann gefährlich. Das Blatt bezeichnet den 28-Jährigen als "Radikal-Imam". Die AfD reagierte schnell auf die Meldung. "Weiteres Beispiel unserer verblödeten 'Elite', die jeder Beschreibung spottet. Radikal islamische Imame sollten stattdessen des Landes verwiesen, ausgebürgert und mit einem Wiedereinreiseverbot belegt werden", schrieb AfD-Fraktionschefin Alice Weidel auf Facebook. Ihre Stellvertreterin Beatrix von Storch twitterte: "Mit diesen Gesten unterwerfen wir uns auch noch im Gedenken an unsere Toten ihrer Gewalt und dann wundern wir uns, dass diese Extremistenbrut uns verachtet?"
Was ist dran am Vorwurf der "Bild" gegen Matar?
"Nichts", sagt Martin Germer, Pfarrer der Gedächtniskirche. "Herr Matar ist mit Sicherheit kein Radikal-Imam - im Gegenteil. Ich habe ihn als ausgesprochen dialogoffen kennengelernt", berichtet Germer dem SPIEGEL.
Schon Wochen vor der Andacht am 19. Dezember habe Matar an einer Veranstaltung zum Dialog zwischen Christentum und Islam teilgenommen und sich dabei sehr differenziert über den Koran geäußert.
"Bodenlose Frechheit"
Matar, Diplom-Verwaltungswirt und Student der Islamwissenschaften, empfindet die Berichterstattung als "bodenlose Frechheit, Verleumdung und schwere Beleidigung meiner Person sowie meiner Arbeit". Er setze sich seit jeher gegen radikale Kräfte ein, sagt Matar dem SPIEGEL. "Ich verurteile ohne Ausnahme jegliche Form von Terror und Gewalt, egal von wem eine solche ausgeht."
Doch wie kommt "Bild" dann dazu, Matar als "Radikal-Imam" zu bezeichnen? Matar ist neben zahlreichen anderen Ehrenämtern in dem Verein "Neuköllner Begegnungsstätte" (NBS) als Seelsorger und Jugendbetreuer sowie im Bereich Projektkoordination tätig. Dieser Verein wird im Jahresbericht des Berliner Verfassungsschutzes erwähnt.
Der Geheimdienst kommt darin zu dem Schluss, dass die NBS den islamistischen Muslimbrüdern nahesteht. Sie lehne jede Form der Gewalt ab und befürworte auch durchaus freie Wahlen und die Gewaltenteilung. Allerdings werde die freiheitlich-demokratische Grundordnung von der NBS "nicht vorbehaltlos mitgetragen, sondern eine rein opportunistische Position zum deutschen Recht eingenommen".