Das Telefon läutet. Dann herrscht kurz Stille. „Hallo?“, fragt Ro Zubay am Ende der Leitung. „Hallo, Ro!“, antworte ich. Deutschland ist mit Malaysia verbunden, sieben Stunden Zeitverschiebung, 9.965 Kilometer Entfernung, bei Whatsapp ganz nah. „Wie geht es dir?“ Ro denkt nach, „ähh, mir geht es gut“, sagt er. Ich weiß aber, dass es ihm nicht gutgeht.
Vor drei Jahren rief ich das erste Mal bei Ro an. Da stand ich im Dschungel der burmesischen Tempelstadt MraukU und hatte gerade seine Kontaktdaten erhalten: „Ruf Hla Win an, das ist seine Nummer.“ Es regnete unentwegt, und ich hatte noch keine Ahnung, wer hinter dem Namen Hla Win stecken sollte. Ich wusste nur, dass er Journalisten durch die Flüchtlingslager führte, ins Englische übersetzte und erklärte.
Hla Win ist sein buddhistischer Name, doch den mag er heute nicht mehr. Weil Buddhisten ihm viel Leid zugefügt haben, sagt er. Und weil er auch keine buddhistischen Freunde mehr hat, verzichtet er darauf. Alle nennen ihn nur Ro. Als sein Telefon damals klingelte, war er in den neu entstandenen Flüchtlingslagern am Rande der burmesischen Stadt Sittwe unterwegs – auf den Feldern, wohin die Rohingya-Muslime in Massen 2012 geflüchtet waren. Ro war einer von über 140.000, die die Provinzhauptstadt während der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Buddhisten und Muslimen verließen. Für viele Menschen in Europa war es das erste Mal, dass man von den Rohingya-Muslimen überhaupt hörte. Seitdem hat sich ihre Situation immer weiter verschlechtert.
Bevor ich meinen Fuß auf den Boden des Bundesstaates Arakan im Westen von Burma setzte, hatte ich die vielen bedrückenden Nachrichten gelesen: dass ein buddhistischer Mob Touristen jagte, die eine der ausgebrannten Moscheen besichtigen wollten. Dass radikale Buddhisten das Büro der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Sittwe zerstörten. Und dass sich das UN-Kinderhilfswerk Unicef dafür entschuldigte, den Namen der Ethnie Rohingya bei einer Pressekonferenz genannt zu haben. Die Lage in Sittwe war so angespannt, dass das Militär jeden Abend von 22 Uhr bis in den frühen Morgen hinein eine Ausgangssperre über die gesamte Stadt verhängte.
Äußerste Armut und Hilflosigkeit
Zwei Tage nach unserem ersten Gespräch am Telefon traf ich Ro persönlich. Von einem kleinen, schäbigen Hotel in Sittwe ließ ich mich mit einem Moped an den Checkpoint fahren. Vorbei an Soldaten, die Kamera in einem Beutel versteckt, vom Himmel strömte immer noch ein Regenguss. Hinter dem Checkpoint begannen die Flüchtlingslager, dort erstreckten sich äußerste Armut und Hilflosigkeit. Dort wartete Ro auf mich.
„Kannst du dich noch an die drei Tage erinnern, in denen wir zusammen in den Camps waren?“ Ja, das könne er noch genau, sagt er. Statt eines traditionellen Longyi, den sowohl Buddhisten als auch Muslime als Rock um die Hüfte wickeln, trug er eine beige Hose. Mit seiner blauen Regenjacke und einer schwarzumrandeten Brille war er westlich gekleidet.