Wie offen kann in der muslimischen Welt über den Islam diskutiert werden? Ein interessanter Fall ist Indonesien. Zum einen ist es das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt: 87 Prozent der mehr als 260 Millionen Einwohner sind islamischen Glaubens, damit leben hier mehr Muslime als im ganzen Nahen Osten zusammen. Zum anderen galt das Land lange Zeit als Vorzeigebeispiel für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie. Doch der gelebte religiöse Pluralismus steht seit Jahren unter Druck. Liberalismus, Säkularismus und auch Pluralismus wurden bereits 2005 durch eine Fatwa des obersten islamischen Rats des Landes für „haram“, also verboten, erklärt. Hardliner fassten die verworfenen Tendenzen im Akronym „Sipilis“ zusammen, das im Indonesischen die gleichen Assoziationen wie im Deutschen weckt.
Eine Veranstaltung im heutigen Jakarta, Thema ist der Stand der Toleranz im Land. Ein junger Mann steht auf: Er sei Indonesier und Muslim. Während der Gouverneurswahl in Jakarta hätten fast alle seine Freunde und Verwandten gesagt, es sei religiös verboten, einen nichtmuslimischen Kandidaten zu wählen. Seine Frage: Was für eine Hoffnung gebe es dann noch für Minderheiten? Könne man indonesischen Kindern, die aus nichtmuslimischen Familien stammen, glaubhaft sagen, sie könnten alles werden, auch Gouverneur von Jakarta oder Staatspräsident von Indonesien? Eine interessante Frage.
Nach der Veranstaltung spricht ihn der Verfasser dieses Artikels darauf an, was seiner Meinung nach die richtige Antwort darauf sei. Das wisse er nicht, sagt der junge Mann, der sich als Student der Elitehochschule Universitas Indonesia herausstellt. Auf die Bemerkung, seine Frage habe sich beinahe amerikanisch angehört, lacht der junge Mann. Tatsächlich habe er sich gefragt, ob das, was in Jakarta passiert sei, mit den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten vergleichbar sei. Ein politisch kaum erfahrener Kandidat wurde zum Gouverneur gewählt, nur weil er Muslim ist und die meisten Einwohner der Hauptstadt es auch sind. Ein politisch unerfahrener Kandidat in den Vereinigten Staaten wird gewählt, weil er weiß ist und die weiße Wählerschaft anspricht.
Verurteilungen wegen Blasphemie immer zahlreicher
Aber in Amerika habe es doch große Demonstrationen gegen Donald Trump gegeben. Ja, sagt der junge Student, das sei wohl wahr. Aber ob der Westler sich schon einmal überlegt habe, was es bedeute, dass es einen Gummiparagraphen gibt wie den indonesischen gegen Blasphemie und jede klare Äußerung einen potentiell ins Gefängnis bringen könne? Er habe sich zuletzt überhaupt nur noch getraut, mit nicht mehr als einem Freund gleichzeitig oder aber mit seinen Cousins zu diskutieren. In der Familie fühle er sich noch halbwegs sicher. Mit Debatten des Westens über den Islam habe er keine Probleme, solange man dabei differenziere und nicht alle Muslime pauschal zu Feinden erkläre. Dass Letzteres in der Tat die falsche Haltung wäre, dafür ist der junge Student ein gutes Beispiel.
Dennoch scheint die Lage in seinem Heimatland düster. Verurteilungen wegen Blasphemie werden immer zahlreicher – nationale Menschenrechtsorganisationen geben für die Jahre zwischen 1965 und 2003 noch weniger als zehn Fälle an, von 2004 bis 2014, unter der Präsidentschaft Susilo Bambang Yudhoyonos, dem Sympathien für muslimische Hardliner nachgesagt wurden, waren es dann 89. Und seit dem Machtantritt des einstigen moderaten Hoffnungsträgers Joko Widodo vor drei Jahren ist die Situation nicht besser geworden: Rund zwei Dutzend Anklagen wegen Blasphemie wurden laut Human Rights Watch seitdem erhoben. Widodo selbst ist islamistischer Tendenzen unverdächtig, nur kann oder will er die Entwicklung offenbar nicht aufhalten. In mehr als neunzig Prozent der Blasphemie-Fälle geht es um eine Beleidigung des Islams, und dabei kam es noch nie zu einem Freispruch.