Am Mittwoch wird das 1993 gegründete UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag das letzte erstinstanzliche Urteil seiner Geschichte fällen: Angeklagt ist der ehemalige serbische General Ratko Mladic aus Bosnien-Hercegovina. Er wird unter anderem beschuldigt, für die mehrjährige Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo verantwortlich zu sein, bei der mehr als 10.000 Menschen durch Granatenbeschuss oder serbische Scharfschützen getötet wurden. Vorgeworfen wird ihm zudem die Geiselnahme von UN-Blauhelmtruppen und ihr Missbrauch als „menschliche Schutzschilde“ gegen Luftangriffe der Nato.
Vor allem aber gilt Mladic als Exekutor grausamer „ethnischer Säuberungen“ wie in der vermeintlichen „UN-Schutzzone“ Srebrenica. Dort wurden im Juli 1995 nach der Einnahme des Ortes im Osten Bosniens durch Mladics Soldaten mehr als 7000 bosnische Muslime getötet. Srebrenica gilt als größtes Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, doch in vielen anderen Orten Bosniens fanden ähnliche Massaker statt.
In einem Gespräch mit der F.A.Z. Woche vor der Urteilsverkündung fordert Mladics Anwalt Branko Lukic nun einen Freispruch für seinen Mandanten – denn der sei unschuldig und außerdem ein früher Kämpfer gegen den islamischen Extremismus gewesen, als Europa von der Gefahr noch nichts geahnt habe. Der wahre Schuldige am Krieg in Bosnien sei der damalige bosnische Muslimführer Alija Izetbegovic, der mit Unterstützung aus dem muslimischen Ausland eine islamistische Agenda verfochten habe. „Alle Serben waren sich dieser Bedrohung im Jahr 1991 natürlich schon bewusst, da sie die islamische Deklaration von Alija Izetbegovic kannten. Das war das Programm seiner Regierung“, sagte Lukic der F.A.Z. Woche.
Lukic, der ein Team von insgesamt zwölf mit Mladics Verteidigung befassten Juristen leitet, bezeichnete es als seinen Standpunkt, dass der bosnisch-serbische General ein Kämpfer gegen den Islamismus gewesen sei, was nicht nur historisch, sondern auch juristisch bedeutsam sei, da der radikale Islam „eine wirkliche Bedrohung für ihn, seine Armee und sein Volk gewesen ist“. Er denke, so werde die Rolle Mladics eines Tages auch von Historikern bewertet werden.
Dass Lukic mit seiner Lesart die Haager Richter überzeugen kann, ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, denn der Islamismus war bei den bosnischen Muslimen in den Kriegsjahren kein maßgeblicher Faktor. Zwar gab es in Bosnien Mudschahedin-Einheiten mir radikalen arabischen oder tschetschenischen Kämpfern, doch spielten diese militärisch keine entscheidende Rolle. Lukic bestreitet auch nicht, dass es im Juli 1995 bei Srebrenica zu einem Verbrechen gekommen ist. Laut seinen Worten wurden etwa 2000 Muslime „als Kriegsgefangene getötet“, was eindeutig ein Kriegsverbrechen sei. Weitere 5500 bis 6000 Muslime seien jedoch „bei Gefechten mit Serben“ gefallen.