Sein oder Nichtsein? Die Schicksalsfrage für die nordrhein-westfälische AfD im Düsseldorfer Landtag hängt an vier Personen. Nach dem Austritt des Fraktionsvorsitzenden Marcus Pretzell, seines Vize Alexander Langguth und des Abgeordneten Frank Neppe ist die AfD-Fraktion auf 13 Mitglieder dezimiert. «Sollten vier weitere Abgeordnete gehen, verliert die AfD ihren Fraktionsstatus», sagt ein Sprecher des Landtags. Sie muss mindestens auf fünf Prozent der insgesamt 199 NRW-Parlamentarier kommen. Das schreibt das Abgeordnetengesetz vor und setzt die rechtspopulistische Fraktion unter ihrem neuen Vorsitzenden Markus Wagner erheblich unter Druck.
Hält in NRW der Exodus an, mit dem die AfD auch bundesweit konfrontiert ist, könnte es zugleich eng werden für den mit gut 4500 Mitgliedern größten AfD-Landesverband. „Wenn es weitere Austritte gibt und die Fraktion zerfällt, könnte das den Niedergang der Landespartei einleiten“, sagt Extremismusforscher Alexander Häusler. Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario angesichts der Tatsache, dass die große Mehrheit der Abgeordneten zumindest bei ihrem Einzug in den Landtag im Mai als Pretzell-Getreue galt?
Parteitag wurde verschoben
Experte Häusler glaubt: „Ob es weitere Überläufer zu Pretzell gibt, und wie sich die derzeitige Dynamik weiterentwickelt, zeigt sich wahrscheinlich erst nach dem Parteitag.“ Der sollte am 14. und 15. Oktober in Wiehl bei Köln stattfinden, wurde aber ganz kurzfristig abgeblasen. Der derzeitige NRW-Vorsitzende Martin Renner, Erzrivale von Pretzell und Rechtsaußen-Vertreter, hatte die kurzfristige Absage mit Sicherheitsbedenken begründet. Innenministerium und die Polizei vor Ort widersprachen dieser Einschätzung klar.
Häusler sagt, hinter der Verschiebung stecke ein anderer Grund: „Renner muss in dem schwelenden schweren Konflikt die Situation erst einmal befrieden.“ Er brauche mehr Zeit, um abzuschätzen, ob noch mehr AfD-ler von Bord gehen. Es gebe Hinweise, dass Aussteiger aus NRW-Fraktion oder Landespartei als Verräter beschimpft würden.
Blaue Partei als Konkurrenz?
Pretzell, früher neben Renner auch Parteichef in NRW, hatte der AfD – parallel zu seiner Frau, der Ex-Bundesvorsitzenden Frauke Petry – Ende September den Rücken gekehrt. Petry setzt nun auf ihre Neugründung «Blaue Partei» und ihr Bürgerforum „Blaue Wende“. AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland sieht die „Blaue Partei“ nicht als ernste Konkurrenz. Und in Düsseldorf betont der Sprecher der NRW-Fraktion, er rechne nicht mit weiteren Austritten.
Dennoch scheint sich eine Erosion abzuzeichnen: Im Bund haben die Rechtspopulisten gerade mit Anette Schultner die prominente Vorsitzende der Christen in der AfD verloren. Sie begründete ihren Austritt mit einer „Radikalisierung“ der Partei. Zuvor hatte sich aus der Bundestagsfraktion der Abgeordnete Mario Mieruch verabschiedet, der auch seinen Posten im NRW-Landesvorstand niederlegte. In Sachsen muss die Landespartei nach mehreren Rücktritten mit einem Notvorstand arbeiten. Im sauerländischen Iserlohn hat sich die AfD-Fraktion im Stadtrat aufgelöst und ist in eine „Blaue Fraktion“ übergegangen.
Zukunft der AfD offen
Es brodele in der AfD, sagt der Politikwissenschaftler Hans Vorländer, Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung. „Der Bundesverband wie auch viele Landesverbände sind derzeit einer Zerreißprobe ausgesetzt.“ Es sei offen, wohin die AfD in NRW steuere. Vorländer glaubt: „Mittel- oder langfristig könnte es zur Selbstmarginalisierung führen, wenn die AfD zu weit nach rechts rückt.“ Sie würde dann für viele bürgerliche Protestwähler ihre Attraktivität verlieren.
Wer nun nach Pretzell die Führung in NRW übernimmt, ist ungewiss. Als praktisch gesichert gilt nur, dass Renner wieder kandidieren will. Der Bundestagsabgeordnete ist aber innerparteilich umstritten. Wer also demnächst im größten AfD-Landesverband den Ton angibt, und ob die AfD-Fraktion im Landtag bis zum Ende der Legislatur 2022 bestehen bleibt, ist derzeit offen