Der Islam ist jene Weltreligion und Kultur, die sich offenkundig am schwersten tut mit der vom „Westen“ ausgehenden Moderne und ihrer Globalisierung. Anders als Chinesen und Japaner, Inder, Südostasiaten, Afrikaner oder Lateinamerikaner schottet er sich vom Rest der Welt geistig weitgehend ab, bei Übernahme westlicher Technologien und Güter allerdings nicht. Der von vielen so charakterisierte Islamismus als religiös-politische Ideologie hat stark identitäre Züge, man will nicht – wie es der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini einmal formulierte – zum „Affen des Westens“ werden. Und längst hat der Islam extreme Ausprägungen jener identitären Selbstbehauptung hervorgebracht, die in letzter Konsequenz für jenen asymmetrischen Krieg verantwortlich sind, den unter Berufung auf den Islam gegenwärtig islamistische Terroristen gegen den „Westen“, sein Denken und seine Lebensformen führen. Auch in Europa ist eine viele verstörende Erscheinung wie der Salafismus seit etlichen Jahren schon angekommen und beunruhigt die Gemüter. Von einer „Salafistenszene“ ist die Rede.
Doch woher kommt er? Und was ist er? Vordergründig eine Rückkehr zum Glauben der „frommen Altvorderen“ (al-salaf al-salih), eine Definition, die freilich zu irritieren vermag, denn auch viele andere, wenn nicht die meisten Muslime glauben ja doch auch, dass sie der frommen Tradition gerecht werden, wenn sie dem Propheten und den Lehren des Korans auf je ihre Weise folgen.
Rüdiger Lohlker, Professor der Islamwissenschaft in Wien, geht in seiner jüngsten Studie von der Hypothese aus, „dass es ein gedankliches Milieu gibt, in dem sich Salafismus, Wahhabismus und Dschihadismus mischen und berühren“. Wahhabismus ist die in Saudi-Arabien vorherrschende, strikt puritanische Lehre aus dem 18. Jahrhundert, Dschihadismus eine religiös-politische Ideologie, die – anders als im klassischen Islam – den Kampf, die Anstrengung „auf dem Wege Gottes“ (dschihad fi sabil Allah) exklusiv militant interpretiert. Alles andere sei eine unter dem Druck des westlichen Liberalismus entstandene Verharmlosung des Islams, um ihn zu schwächen. Der Autor lässt keinen Zweifel daran, dass solcherlei Radikalismus, selbst wenn er, wie bei manchen Salafisten, durchaus quietistisch-sanft daherkommt, keine „Form des authentischen Islams“ sei. Andernfalls sei ja jede Kritik am Salafismus tatsächlich ein „Angriff auf den Islam“.
Der Salafismus ist im Grunde jahrhundertealt. Lohlker führt zunächst jene Kette von Gelehrten an, die seit dem Wirken Ibn Taimijas im 13. Jahrhundert bis in unsere Zeit hinein reicht. Ibn Taimija gilt den Salafisten, gleich welcher Spielart, als „Gründervater“, forderte er doch zu seiner Zeit die durch den verheerenden Einfall der Mongolen schwer getroffenen Muslime auf, die Reihen qua Religionsgesetz fest zu schließen und sich am Propheten und den ersten drei Generationen der Gläubigen ein Beispiel zu nehmen. Lohlker folgt dieser Einschätzung nur bedingt, sieht in diesem Gelehrten einen Mann, dessen theologische Tiefendimension noch nicht wirklich erkannt sei.
Tatsächlich liegt der Verdacht nahe, dass Salafisten – wie andere Extremisten – gelehrte Schriften als Steinbruch benutzen, um dasjenige Material herauszubrechen, das sie zur Rechtfertigung ihrer Doktrinen verwenden können. Wie Ibn Taimija gegen die Mongolen, so wandte sich Mohammed Ibn Abdal Wahhab, als Inspirator der Saudi-Familie und Dynastie, im 18. Jahrhundert gegen den „hanafitischen Liberalismus“ vornehmlich der Osmanen, aber auch gegen andere liberale Strömungen im Islam, wie etwa den weitverbreiteten Sufismus.