Ein lautes Motorengeräusch, ein Knall – so beschreiben Zeugen den Augenblick, der die 22-jährige Shaden M. das Leben kostete. In der Nacht von Karfreitag auf den Ostersamstag wurde die ägyptische Gaststudentin von einem Auto erfasst – direkt am zentralen Berliner Platz im Cottbusser Stadtzentrum. Das schockierende an diesem Fall: Als sie sterbend auf der Straße lag, sollen sie und ihre Begleiter auch noch fremdenfeindlich beschimpft worden sein. Nach den Vorfällen hatte die ägyptische Heimatuniversität ihre Studenten aus Cottbus abgezogen. Viele Fragen sind noch offen – sowohl zu den polizeilichen Ermittlungen, als auch zu den rassistischen Pöbeleien und zum Unfallhergang.
Nach drei Tagen an schweren Verletzungen gestorben
Drei Tage lang lag Shaden M. mit schweren Kopfverletzungen auf der Intensivstation des Carl-Thiem-Klinikums Cottbus. Dann hatten die Ärzte den Kampf um das Leben der jungen Frau verloren und schalteten die lebenserhaltenden Geräte ab. Ihre Verletzungen waren derart schwer, dass man sich fragen muss: Wie konnte es in einer Tempo-30-Zone auf einer sehr engen Fahrbahn neben einer Straßenbahnhaltestelle zu so einem Crash kommen? Die Lokalzeitung berichtete: Eine "ausgelassene Nacht mit Freunden" habe an diesem Karfreitag ein "tragisches Ende" gefunden. In einer Pressemitteilung der Polizei hieß es, die junge Frau habe plötzlich aus einer Personengruppe heraus die Fahrbahn betreten. Ein Staatsanwalt wird ebenfalls in der Zeitung mit der Aussage zitiert, der Autofahrer habe den Unfall nicht verhindern können.
Fahrer soll beschleunigt haben
Doch stimmt das alles wirklich so? Mehrere Zeugen, die an dem Abend dabei waren, schildern die Abläufe anders. Von einer "ausgelassenen Nacht" habe keine Rede sein können, berichten zwei ägyptische Studenten, die Shaden an jenem Abend begleiteten.
Man habe zwar einen Geburtstag begangen, die Gruppe sei aber nur ziellos durch die Stadt gewandert. Einen geeigneten Ort zum Feiern habe man gar nicht gefunden. Den Unfall selbst schildert Momen Nabil, einer der Studenten, schließlich so: "Wir hörten plötzlich hinter uns ein Auto beschleunigen. Es beschleunigte immer mehr. Shaden ging uns voraus. Der Wagen traf sie heftig. Sie landete auf dem Bürgersteig bei der Straßenbahnhaltestelle, und der Fahrer fuhr einfach weiter, ohne seine Geschwindigkeit zu verringern." Sein Freund Youssef Salah bestätigt diese Aussage: "Er beschleunigte immer mehr. Die Straße war nicht so breit, dass es lange gedauert hätte, sie zu überqueren. Und dann traf er sie."
Unabhängiger Zeuge bestätigt hohe Geschwindigkeit
An diesem Abend war noch ein Zeuge vor Ort - einer, der nicht zur Gruppe gehörte. Er befürchtet, von Ausländerfeinden in Cottbus bedroht zu werden, und will deswegen nicht erkannt werden. Doch auch er will die extrem hohe Geschwindigkeit des Unfallfahrzeugs bemerkt haben, die er auf 60 bis 70 Stundenkilometer schätzt. Auf die Frage, wie er zu dieser Einschätzung kommt, verweist er auf den lauten Knall des Zusammenstoßes, und darauf, dass er das Fahrzeug dann mit hoher Geschwindigkeit habe weiter fahren sehen: "Ich weiß dann noch, dass jemand mit einem Schuh des Unfallopfers kam, und meinte, dass der auf die andere Straßenseite geflogen ist. Ich glaube, so was kann bei dreißig nicht passieren."
Die Insassen des Unfallautos sollen nach dem Crash zu Fuß zum Unfallort zurückgekommen sein. Dass einer von ihnen dann auch noch angefangen haben soll, auf Ausländer zu schimpfen, will der Zeuge direkt mitbekommen haben. Noch am gleichen Abend hat er über den Nachrichtendienst WhatsApp eine Sprachnachricht an seine Freunde geschickt, in der er sagt: "Die Leute, die im Auto saßen, haben überhaupt keine Einsicht gezeigt. Sie haben gelacht und Sachen gesagt, wie: 'Ja, die müssen halt gucken, die haben ja da zu Hause keine Straßen. Und die sollen sich in ihr Scheiß-Land verpissen…' und so was. So ne Sprüche rausgehauen, obwohl die grad ein Mädchen vielleicht tot gefahren haben."
Fremdenfeindliche Äußerungen in Anwesenheit der Polizei?
Diese Pöbeleien – da ist sich der Zeuge sicher – müssen auch die Polizeibeamten registriert haben, die versuchten, den Unfallort zu sichern. Die Äußerungen seien so laut gewesen, dass sie eigentlich nicht zu überhören gewesen seien. Einer der Polizisten soll dann immer wieder gesagt haben: "Wir müssen jetzt hier den Unfall aufnehmen, und unsere Arbeit machen. Alles andere ist egal."
Der Vorgang wird erst öffentlich, als eine junge Frau dazu ein Flugblatt veröffentlicht, in dem sie schreibt: "Das war eine der entsetzlichsten Situationen in meinem Leben", und die Presse das aufgreift. Erst zu diesem Zeitpunkt beginnt die Staatsanwaltschaft auch wegen Beleidigung und Volksverhetzung zu ermitteln. Deren Sprecherin bestätigt, von diesen Vorgängen erst aus der Zeitung erfahren zu haben. Sie bestätigt auch, dass inzwischen ein Anfangsverdacht gegen einen der Auto-Insassen vorliegt.
Es bleiben viele offene Fragen. Auch zum genauen Unfallhergang. Shadens Freunde hätten gerne Antworten: "Wir versuchen einfach nur herauszufinden", sagt Momen Nabil, "was passiert ist und warum. Wir hoffen, dass wir dabei helfen können, die Situation zu klären und die Wahrheit zu finden." In Cottbus heißt es: "Die Ermittlungen dauern an." In zwei bis drei Monaten etwa will die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob Anklage erhoben wird.