In einem Landschloss im Weinbaugebiet der Touraine sollten bis zu 25 junge radikale Franzosen betreut werden. Ziel war es, sie in einem kollektiven Umerziehungsprogramm zu deradikalisieren. Doch nach nur knapp einem Jahr hat Innenminister Gérald Collomb das Experiment jetzt für gescheitert erklärt. „Das Zentrum von Beaumont-en-Véron wird geschlossen“, sagte er. Bereits seit März haben die zwölf Betreuer des „Zentrum zur Prävention, Eingliederung und Staatsbürgerschaftslehre“ im Schloss von Pontourny nichts mehr zu tun. Der letzte Bewohner, ein junger Mann, musste das Zentrum im Februar verlassen, nachdem er wegen Gewalttaten rechtskräftig verurteilt worden war. Wie die französische Presse berichtete, war seine „Therapie“ anders verlaufen als geplant. „Er hat das Programm wie eine antiislamische Indoktrinierung aufgefasst und sich weiter radikalisiert“, urteilten die Betreuer in einem vertraulichen Bericht. Nach der Schließung des Zentrums steht die Regierung ohne eine klar erkennbare Strategie im Umgang mit radikalen Islamisten da.
Nach den schweren Terroranschlägen der Jahre 2015 und 2016 mit insgesamt etwa 240 Toten und Hunderten Verletzten hatte der damalige Premierminister Manuel Valls verkündet, in allen zwölf Regionen Frankreichs (außer Korsika und Übersee) je eine Anstalt zur Umerziehung radikalisierter Franzosen zwischen 18 und 30 Jahren zu eröffnen. Er stellte finanzielle Mittel in Höhe von 2,5 Millionen Euro für das Pilotprojekt in Pontourny zur Verfügung. Zuvor waren 1600 junge Islamisten von Betreuungsgruppen der Präfekturen „begleitet“ worden. „In unseren Vierteln leben Tausende von jungen Menschen, die sich vom Dschihadismus angezogen fühlen“, argumentierte Valls. Diesen Franzosen müsse geholfen werden. Die Einrichtungen sollten sich prioritär an labile junge Leute richten, die eventuell planen, nach Syrien in den Dschihad zu ziehen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Wiedereingliederung sei, dass sie sich aus freien Stücken meldeten und noch nicht wegen Terrorstraftaten angeklagt worden seien.
„Wir mussten jeden Freitag stundenlang die Marseillaise singen“
Die Regierung ernannte sogar einen für diese Form von Prävention zuständigen Präfekten, Pierre N’Gahane. Dieser entwickelte zusammen mit Psychologen und Islam-Fachleuten ein von Militärcamps inspiriertes Programm, das den Betreuten feste Regeln und Bezugspunkte geben sollte. So mussten sie Uniform tragen, morgens zum Fahnenappell strammstehen und zu festen Zeiten essen, arbeiten und schlafen gehen. Den Bewohnern wurde eine Ausbildung in Lehrberufen wie Koch, Schreiner oder Kfz-Mechaniker angeboten. An den Wochenenden durften sie in ihre Familien zurückkehren.
Doch schon bei der Auswahl geeigneter Kandidaten stieß das Experiment an seine Grenzen. 25 Freiwillige hatte man sich erhofft – stattdessen mangelte es seit der Eröffnung der Anlage in der Nähe des Weinstädtchens Chinon am Fluss Vienne im vergangenen September an Kandidaten. Das Innenministerium hat bis heute nicht bekanntgegeben, wie viele Freiwillige seither in dem Zentrum „umerzogen“ wurden. Nur selten drangen Erfahrungsberichte nach außen. Die Regionalzeitung „La Nouvelle République“ zitierte die junge Sabrina K., die schwanger in dem Zentrum aufgenommen wurde. „Wir mussten jeden Freitag stundenlang die Marseillaise singen“, sagte die junge Frau. Ihre Mutter gab an, dass die Entscheidung ihrer Tochter nicht ganz freiwillig gewesen sei. „Wir hofften, dass sie eine Lehre machen würde“, sagte die Mutter. Doch ihre Tochter brach den Aufenthalt ab und zog zum Vater des Kindes, einem polizeibekannten Islamisten.