Im Juni eröffnete die Anwältin Seyran Ates in Berlin die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Erwartungsgemäß brachte ihr das nicht nur Beifall ein, sondern harsche Kritik - und etwa 100 Morddrohungen. "Über die sozialen Medien habe ich wegen der Moscheegründung so viele Morddrohungen bekommen, dass das LKA zu der Einschätzung gelangt ist, mich rund um die Uhr schützen zu müssen", sagte Ates der "Welt am Sonntag".
Die Mitte Juni eröffnete Moschee soll Sunniten, Schiiten und Anhängern anderer islamischer Glaubensrichtungen offenstehen. Frauen müssen beim Gebet kein Kopftuch tragen und können als Vorbeterin auftreten. Sie fühle sich in den anderen deutschen Moscheegemeinden als Frau diskriminiert, hatte Ates ihr Projekt begründet. Als Räumlichkeit dient ein angemieteter Raum in der evangelischen Johanniskirche im Stadtteil Moabit.
Seyran Ates lebt seit Jahren mit Drohungen und Anfeindungen - durch radikale Muslime auf der einen Seite und Islamfeinde auf der anderen. 1984 wurde sie Opfer eines Attentats, bei dem sie lebensgefährliche Verletzungen davontrug.
"Die Leute haben pure nackte Scheißangst"
Die Neugründung der liberalen Moschee fand international viel Aufmerksamkeit - und wurde politisch instrumentalisiert. Türkische Medien hatten berichtet, die von Ates gegründete Moschee sei ein vom islamistischen Gülen-Netzwerk gesteuertes Projekt.
"Ich habe an alle möglichen Bedrohungsszenarien gedacht, aber nicht daran, dass die türkische Seite die Moschee in die Nähe des Gülen-Netzwerkes bringt, um uns zu diffamieren", sagte Ates dem SPIEGEL. "Das ist einfach absurd." Die Anwältin vermutet, dass es der türkischen Seite darum gehe, die in der Moschee praktizierte liberale Auslegung des Islam zu bekämpfen. "Aber auf der Schiene bekommen sie uns nicht. Deshalb werden uns Gülen-Verbindungen unterstellt, um uns zu Terroristen zu erklären, die zum Abschuss freigegeben sind", so Ates.
Das Bedrohungsszenario hat offenbar Auswirkung auf die Besucherzahlen in der Moschee. "Es ist Angst, die Leute haben pure nackte Scheißangst", sagte Ates der "Neuen Zürcher Zeitung". "Die Leute werden eingeschüchtert. Einige waren auf den Bildern der Eröffnung zu sehen und wurden sofort von ihrem Umfeld unter Druck gesetzt."
Grünen-Parteichef Cem Özdemir, früher selbst lange Zeit unter Polizeischutz, forderte die Regierung laut "Welt am Sonntag" auf, Einflussversuche der türkischen Regierung in Deutschland strenger zu ahnden. "Die Bundesregierung hat zu lange mit Erdogan gekuschelt, statt klare Worte und entschiedene Maßnahmen gegen das Spitzelnetzwerk des türkischen Staates zu ergreifen", sagte Özdemir. "Die große Koalition schafft es offensichtlich nicht, Deutschtürken hierzulande vor dem langen Arm Erdogans zu schützen. In der Schule, am Arbeitsplatz, in den Gebetshäusern - von Einschüchterungen über Schikane bis Bedrohungen ist alles dabei."