"Ich bin genervt von Aussagen, dass man gegen Terroranschläge sowieso nichts tun kann, nur weil die Sicherheitsbehörden nicht alles erkennen. Das ist eine Missachtung der zivilgesellschaftlichen Macht." Ein Sozialarbeiter hat das im Sommer 2016 im Gespräch mit dem SPIEGEL gesagt. Das Stichwort lautet also: Prävention.
Die Politiker wollen etwas für unsere Sicherheit tun? Dann sollen sie den bewaffneten Kräften ruhig Helme aus Titan kaufen und Munition mit höherer Durchschusskraft. Das macht Eindruck. Man sollte sich davon nur nicht zu viel versprechen. Wenn schon junge Männer für unsere Sicherheit sorgen sollen, dann nicht die Durchtrainierten im Tarnfleck, mit den schussbereiten Gewehren vor der Brust, sondern die mit den Fusselbärtchen, die sich mit Sozialtherapie auskennen oder mit Soziologie.
Prävention bedeutet weder Stuhlkreis noch Ringelpiez mit Anfassen. Es geht nicht darum, Terroristen mit Wattebäuschchen zu bewerfen. Im Gegenteil. Es ist ein anspruchsvolles Geschäft, Präventionsstrategien gegen den islamistischen Terror zu entwickeln. Schulen, Ordnungsämter, Psychiatrischer Dienst, Sozialämter, Polizei und Geheimdienste - diese Behörden und Institutionen haben verschiedene Aufgaben, Methoden und Traditionen - aber in der Terrorismusprävention sind sie alle gemeinsam gefragt.
Aber es macht sich ein anderer Geist breit. In der "Bild Zeitung" kann man lesen: "Wenn ich durch London laufe, kontrolliert ein Polizist auf der Straße meinen Rucksack. In Mailand steht ein Panzerwagen vor dem Dom.
Aber hier in Berlin? Besucher aus anderen europäischen Städten fragen mich verwundert, warum man am Brandenburger Tor oder auf dem Ku'damm so wenig Polizei sieht."
Und hier auf SPON stellt der Kolumnist Sascha Lobo fest, dass die meisten der europäischen Attentäter der vergangenen Jahre ähnliche Merkmale aufweisen und wundert sich, dass die Polizei sie nicht vor den Taten aus dem Verkehr gezogen hat: "Wie viele Warnzeichen braucht es, bis Behörden tätig werden?"
Vielleicht liegt es wirklich daran, dass die Logik der Repression den anthropologischen Konstanten von Rache und Gewalt eher folgt als der komplizierte Gedanke der Vorbeugung. Es ist ein Akt der Zivilisation, auf einen Schlag nicht mit einem Gegenschlag zu reagieren, sondern mit einem Gedanken.
Das Problem ist die Islamisierung der Radikalen, nicht die Radikalisierung des Islams
Der erste Schritt einer neuen Präventionsstrategie wäre, dass sich die europäische Öffentlichkeit von der irrigen Idee verabschiedet, Terror habe etwas mit Religion zu tun. Der französische Terrorexperte Olivier Roy hat gesagt, das Problem sei die Islamisierung der Radikalen, nicht die Radikalisierung des Islams. Denn in Europa sind die jungen Männer, die den Weg des Terrors gehen, schon radikal bevor sie sich für den Islamismus entscheiden.
Roy rechnet vor: Sechzig Prozent der gewalttätigen Dschihadisten in Europa seien Muslime der zweiten Generation, die sich weder in ihrem Herkunftsland heimisch fühlen noch in den westlichen Gesellschaften, in denen sie leben. Der Anteil der dritten Generation liege mit fünfzehn Prozent viel niedriger. Und fünfundzwanzig Prozent seien Konvertiten, die für ihren Extremismus ein Vehikel suchen.
Das sind also gefährdete und gefährliche junge Männer, um die sich die Gesellschaft kümmern muss. Wenn schon nicht aus Fürsorge, dann eben im eigenen Interesse.
Der deutsche Psychiater Norbert Nedopil hat in einem Interview gesagt: "Man muss ihre Bedürfnisse erst mal akzeptieren und dann in andere Bahnen lenken."
Diese Bedürfnisse haben mit Religion nichts zu tun. Es geht um den Reiz der gefahrvollen Hinwendung zu etwas Besonderem. Wenn man dem Fanatiker den Gegenstand seiner Begeisterung nimmt, hinterlässt man eine Leere.
Diese Leere müsse man anders füllen, sagt Nedopil: "Beispielsweise erfüllt Freeclimbing das Kick-Bedürfnis."