Es ist ein eiskalter Abend im Dezember, als der türkische Staatsbürger Ahmed Eraydin in einem schmucklosen Büro am Hamburger Jungfernstieg sitzt, die Hände übereinanderlegt und sagt: „Ich möchte in Deutschland bleiben.“ Der Mann heißt in Wirklichkeit anders, aber er möchte nicht, dass sein richtiger Name in den Medien steht. Weil er Angst hat.
Eraydin ist Imam, im Auftrag der türkischen Regierung arbeitete er drei Jahre lang in einer Moscheegemeinde der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, kurz Ditib. Nach Deutschland entsandt hatte ihn das Präsidium für Religionsangelegenheiten Diyanet, eine staatliche Behörde, die direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt ist. Eraydin war einer von insgesamt knapp 1000 türkischen Imamen, die hierzulande predigen.
Viele von ihnen – genaue Zahlen will die Ditib nicht nennen – wurden nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli vergangenen Jahres auf einen Schlag entlassen. Eraydin traf es auch. Der Familienvater bekam Ende August seine Kündigung; seit dem 1. September ist er arbeitslos, die Wohnung auf dem Gelände der Moschee musste er verlassen.
„Mehrere Imame wurden festgenommen“
Eraydin wurde aufgefordert, in die Türkei zurückzukehren und sich bei Diyanet zu melden. Aber er weigert sich: „Ich habe von mehreren Imamen erfahren, die nach ihrer Rückkehr festgenommen wurden, als sie sich beim Ministerium meldeten.“ In seinem Heimatdorf hätten Polizisten seine Familie schon gefragt, wo er denn sei.
Eraydin ist nun mal kein Fan von Staatspräsident Erdogan und dessen Regierungspartei AKP. Also machte er in seiner Moschee auch keine Werbung für sie. Er vermutet, dass seine Entlassung die Strafe dafür ist. „Ditib vertritt die in Deutschland lebenden Muslime nicht“, sagt er. „Sie vertritt die Regierung in Ankara.“
Er wehrt sich nun gegen die ihm drohende Rückkehr in die Türkei. Gerade wurde seine Aufenthaltserlaubnis bis Mitte Februar verlängert, jetzt denkt er darüber nach, Asyl in Deutschland zu beantragen – so wie viele andere Imame, Lehrer und Journalisten. Insgesamt haben im vorigen Jahr 5742 Türken einen Asylantrag in Deutschland gestellt, 2015 waren es nur 1767.
Klammern an den letzten Strohhalm
Neben den Asylanträgen gibt es einen weiteren Strohhalm, an den sich die entlassenen Imame klammern: Hilfe durch die deutsche Justiz. Wie diese Zeitung erfuhr, liegen seit Ende 2016 zwei Kündigungsschutzklagen türkischer Imame beim Arbeitsgericht in Köln vor.
Eine Klage gegen eine türkische Behörde wie Diyanet würde ein deutsches Arbeitsgericht kaum annehmen. Und so klagen sie gegen Ditib, die ihren Hauptsitz in Köln hat. Das Gericht bestätigte das Verfahren, Ende März findet die mündliche Verhandlung statt.
Der Rechtsanwalt der beiden Imame beruft sich bei der Klage darauf, dass Ditib zwar auf dem Papier nicht Arbeitgeber der türkischen Imame ist, aber Weisungen erteilt und die Unterbringung der Männer und ihrer Familien finanziere. Der Sachverhalt sei „sehr komplex“, so der Jurist: „Einen solchen Fall hat es in Deutschland noch nicht gegeben.“
Ditib gibt sich betont gelassen
Er fordert, dass das Gericht Ditib als tatsächlichen Arbeitgeber einstuft und seine Mandanten dann wieder eingestellt werden. „Falls das geschieht, werden viele weitere entlassene Imame, die sich immer noch in Deutschland aufhalten, klagen“, sagt der Rechtsanwalt.
Ditib gab sich auf Anfrage gelassen. Es habe kein Arbeitsverhältnis mit den Klägern bestanden, teilte Rechtsanwalt Mehmet Günet mit: „Die Klagen versprechen daher keinen Erfolg.“ Ahmed Eraydin sieht das anders. In den nächsten Tagen will auch er seine Klage gegen Ditib beim Arbeitsgericht in Köln einreichen.