In Europa formiert sich nach Ansicht des Wiener Theologen Paul Zulehner eine „moderne Version des Islam“. Dieser orientiere sich an der Lebenswirklichkeit in Europa, was etwa Religionsfreiheit und Geschlechterrollen anbelange, sagte Zulehner am Wochenende in Wien. Gleichzeitig gehe der Einfluss von islamischen Autoritäten zurück. Das bedeute allerdings nicht, dass die Religiosität als solche unter den Muslimen abnehme.
Zulehner äußerte sich bei einem Forum für Religionslehrer aus Europa. Er verwies bei seinen Ausführungen auf die Langzeitstudie „Religion im Leben der Österreicher 1970-2010“. Zuletzt sei bei dieser alle zehn Jahre durchgeführten repräsentativen Umfrage neben Christen auch die wachsende Gruppe der Muslime in den Blick genommen worden.
Die Daten zeigten deutlich, dass sich die in Österreich lebenden Muslime der zweiten Generation immer mehr von einem autoritär geprägten Islam verabschieden. Eine „Unterwerfungsbereitschaft“ gegenüber Führern und Autoritäten aller Art im Zusammenhang mit der eigenen Religiosität sei in der ersten Zuwanderergeneration noch gang und gäbe gewesen, in der zweiten jedoch enorm geschwunden, so der Theologe.
Bei den Männern aus der ersten Zuwanderergeneration bekundeten 78 Prozent eine Übereinstimmung mit autoritativen Haltungen, führte Zulehner aus. Unter den Jüngeren seien es nur noch 58 Prozent gewesen. Bei den Frauen zeigte sich dieser Trend noch deutlicher. Dort ging der Zustimmungswert von 40 auf 26 Prozent zurück.
Die Abnahme der Autoritätsgläubigkeit gehe aber nicht mit einer Abnahme der Religiosität an sich einher, betonte der Theologe. Die Anzahl der männlichen Muslime, die sich als religiös, aber nicht autoritätshörig bezeichnen, stieg im Vergleich zur ersten Generation von 6 auf 11 Prozent; bei den Frauen von 25 auf 54 Prozent.
Was die Zustimmung zu traditionellen Geschlechterrollen anbelangt, so lag diese laut Zulehner bei den Männern der ersten Generation bei 44 Prozent und sank in der zweiten Generation auf 40 Prozent. Bei den in Österreich lebenden muslimischen Frauen betrug der Wert bei Angehörigen der ersten Generation 26 Prozent, bei den jüngeren Frauen nur noch 11 Prozent.