Sehr geehrter Herr François Hollande, Staatspräsident von Frankreich!
Sehr geehrte Frau Angela Merkel, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland!
Sehr geehrte europäische Staats- und Ministerpräsidenten und hohe Verantwortliche europäischer Staaten!
Das bittere Ereignis vom gestrigen Abend in der französischen Stadt Nizza, bei dem Dutzende unschuldige Menschen starben oder verletzt wurden, hat mich zu diesem Schreiben an Sie veranlasst. Gleich zu Beginn betrachte ich es als Pflicht, meinerseits und seitens Hunderter von Mitgliedern des Ahl-ul- Bayt (a.s.)-Weltverbandes (ABWA), die weltweit mit dieser internationalen Organisation zusammenarbeiten, diesen Terrorangriff entschieden zu verurteilen.
Indem ich Ihnen kondoliere, möchte ich den Hinterbliebenen der Opfer dieses Verbrechens meine Anteilnahme aussprechen, und bete zu Gott für den Seelenfrieden derer, die ihr Leben aufgrund dieser Gräueltat verloren haben.
Derartige bittere Ereignisse, die schon seit einigen Jahren in unserer Region und anderen muslimischen Ländern großes Leid verursachen, haben nun auch Ihre Staaten erreicht - gestern in Paris, Brüssel und Orlando und heute in Nizza. Nur Gott weiß, wo sich morgen Ähnliches ereignen wird. Werden in naher Zukunft auch Rom, London, Berlin und Wien Zeuge solch schrecklicher Anschläge sein, und ISIS (Daesch), die al-Kaida und andere terroristische Gruppen werden – so wie die takfiristischen Terroristen angedroht haben - auf den Straßen dieser Städte ein Blutbad anrichten? Sind angesichts dieser Situation positive Perspektiven für die zukünftige Welt zu erwarten?
Was ist die Ursache für solche Ereignisse? Woher stammen die Terroristen, die noch nicht einmal mit unschuldigen Kindern Erbarmen haben? Handelt es sich um Muslime? Welcher Denkweise entspringen ihre Handlungen? Wer unterstützt sie finanziell und mit militärischer Ausrüstung?
Sehr geehrter Präsident Hollande, sehr geehrte Staatsführer der europäischen Staaten!
Auch wenn ich annehme, dass Sie die Antwort auf diese Fragen kennen, möchte ich Sie und die Weltöffentlichkeit, welche verletzt und besorgt ist, mit diesem Schreiben an fünf Dinge erinnern:
Erstens: Sie und alle Bürger im Westen sollten wissen, dass solche Terrorakte nicht vom Islam akzeptiert werden. Wenn die Urheber dieser Verbrechen einen arabischen Namen tragen und ein islamisches Äußeres zeigen, bedeutet dies nicht, dass sie gemäß den Geboten des Islams gehandelt haben oder handeln. Die islamische Umma (die internationale Gemeinschaft der Muslime) betrachtet die takfiristischen (exkommunizierenden) Terroristen nicht als ihre Mitglieder und der beste Beweis dafür ist die lange Geschichte des friedlichen Zusammenlebens der Anhänger verschiedener Religionen in muslimischen Ländern, und außerdem die Tatsache, dass die islamischen Gelehrten der verschiedenen schiitischen und sunnitischen Rechtsschulen diese Verbrechen verurteilen.
Im Heiligen Koran wird die generelle Stellung des Islams hinsichtlich der Beachtung der Menschenrechte und des Schutzes des Lebens von Nicht-Muslimen deutlich zum Ausdruck gebracht:
لا ينهاکم الله عن الذين لم يقاتلوکم في الدين و لم يخرجوکم من ديارکم أن تبروهم و تقسطوا إليهم إن الله يحب المقسطين؛
„Allah verbietet euch nicht, gegenüber denjenigen, die nicht gegen euch der Religion wegen gekämpft und euch nicht aus euren Wohnstätten vertrieben haben, gütig zu sein und sie gerecht zu behandeln. Gewiss, Allah liebt die Gerechten.“
Sure Mumtahana (Sure 60) Vers 8
Der Prophet Gottes, Hadhrat-e Mohammad (s.a.) hat in den ersten Tagen des Beginns seiner Regierung dementsprechend gehandelt und durch die Aufstellung des Mithaq-i Madina (des Bündnisses von Medina) für Rechte, Leben und Besitz der Nicht-Muslime garantiert.
Es ist Imam Ali Ibn Abi Talib (a.s.) gewesen, der in seinem historischen Regierungsauftrag (an Malik Aschtar) sämtliche Muslime in der Geschichte lehrte, dass sie alle Menschen, unabhängig von der Religion und den verschiedenen Ansichten achten müssen, und schrieb:
انهم صنفان اما اخ لک في الدين او نظيرک في الخلق؛
„(denn) sie sind von zweierlei Art: Entweder sind sie dein Bruder in der Religion oder dir in der Schöpfung gleich.“
Zweitens: Was ist, angesichts des Gesagten, der Grund dafür, dass diese Terroranschläge ständig dem Islam und den Muslimen zugeschrieben werden? Präsident Hollande hat nach dem Vorfall in Nizza wieder von „islamistischem Terrorismus“ gesprochen. Ebenso haben Sie, die Regierungspolitiker der westlichen Länder, und Ihre mächtigen Medien seit Beginn der Anschläge der ISIS (Daesch) - Terroristen diese Verbrecher als „Islamischer Staat“ bezeichnet und tun dies weiterhin auf diese Weise!
Die mehr als eine Milliarde Muslime auf der Welt betrachten diese Individuen jedoch als Verbrecher, die absolut nichts mit dem Islam und dessen humanitären Lehren zu tun haben.
Drittens: Die Terroranschläge, die Ihre Länder derzeit erleben, sind eine Reflexion dessen, mit dem wir in unserer Region leben und in deren Flammen unsere Völker verbrennen. Wenn die europäischen Länder und die USA zu der Zeit, als diese Terroristen in den Städten Pakistans, Afghanistans, Iraks und Syriens Blut vergossen haben, sie nicht auf internationalen Konferenzen unterstützt, sondern an ihre Ausrottung gedacht hätten, wären sie heute nicht Zeuge dieser Gewalt vor ihrer eigenen Haustüre.
Viertens: Es wundert uns, dass die Staatsmänner Frankreichs, welches heute von den takfiristischen Terroristen angegriffen wird, die Terrorgruppe der Munafiqin (der sogenannten Volksmudschaheddin) unterstützen. Frankreich hat nach den Angriffen von Paris und Nizza etwa 300 Menschenleben zu betrauern, aber es gestattet sich, verbrecherische Terroristen, die 17 Tausend unschuldige Iraner ermordet haben, zu unterstützen. Noch schlimmer ist es, dass Frankreich vor fünf Tagen in seiner Hauptstadt zuließ, dass Turki al-Faisal, ein bekanntes Gesicht des saudischen Geheimdienstes, welcher takfiristische Terrorgruppen wie die Taliban, al-Kaida, Daesch (ISIS), Boko Haram und die al-Nusra-Front mit hervorgebracht hat, eine Ansprache zur Unterstützung des Terrorismus hält! Denken Sie bitte nur einmal kurz darüber nach, ob die bitteren Angriffe auf unschuldige westliche Bürger nicht das natürliche Ergebnis eines solchen Vorgehens sind?
Fünftens: Die takfiristischen Verbrecher, die ihre Ansichten aus dem unmenschlichen Denken der Wahabiten und Salafisten beziehen, machen keinen Unterschied zwischen Jung und Alt, Mann und Frau, Schwarz und Weiß, Europäern oder Asiaten, Muslimen oder Nicht-Muslimen. Der takfiristische Terrorismus kennt keine bestimmte Religion sondern mordet alle, die anders denken. Weil es sich um eine universale Gefahr handelt, besteht der einzige Weg zur Befreiung von diesem verheerenden Unheil darin, dass alle Staaten ihrer Pflicht nachkommen, das Problem gemeinsam an den Wurzeln zu packen. Zu diesem Zweck müssen als erstes alle Wege und Kanäle für finanzielle Hilfen und Lieferungen von Militärausrüstung an die Terrorgruppen blockiert und an den Landesgrenzen muss der Anschluss von Freiwilligen an diese Gruppen verhindert werden.
Sehr geehrter Präsident von Frankreich! Hohe Verantwortliche der europäischen Staaten!
Sie und Ihre Sicherheitsapparate wissen genau, von welchen Ländern die Tausenden von Terroristen der al-Kaida, des Daesch (ISIS) und der al-Nusra-Front ihre Gelder beziehen und von welchen Ländern sie Militärausrüstung und Kommunikationstechnologie erhalten und von welchen Predigern und Muftis die Fitwas stammen, mit denen sie ihre Verbrechen legitimieren.
Es ist an der Zeit, dass Sie, zumindest zum Schutz des Lebens Ihrer eigenen Kinder und unschuldigen Bürger, die ambivalente Strategie und die politischen Spiele aufgeben und gemäß Ihrer historischen Verantwortung gegenüber dem hemmungslosen takfiristischen Terrorismus handeln.
Die wahren Islamgelehrten und die Regierungsverantwortlichen und Organisationen von jenen muslimischen Ländern, die aufrichtig die Bekämpfung des Terrorismus anstreben, werden ihre besten Freunde und Partner bei einer solchen ernsthaften Bekämpfung sein.
„Und Friede sei auf demjenigen, der der Rechtleitung folgt.“
Sure Ta-Ha (Sure 20), Vers 47
Mohammad Hassan Akhtari
Generalsekretär des Ahl-ul-Bayt (a.s.) – Weltverbandes (ABWA)
Teheran, 15. Juli 2016