Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Allerbarmers
Sehr geehrte Damen und Herren, as salamu alaikum
Vor einigen Tagen kam ein Gelehrter aus unserer Gemeinde der Cafer-Sadik Moschee in eine Situation, die hiernach eine Debatte in Deutschland auslösen sollte. Es geht um den Vorfall an einer Berliner Schule, an dem der werte Shaikh Kerim Ucar die unpassenden Äußerungen einer Lehrerin anhören musste, nachdem er ihr die Hand zum Gruß aus religiösen Gründen nicht gab. Viele Akteure haben daraufhin diesen Vorfall kommentiert.
Auch die IGS schreibt nachfolgend einen Beitrag zum Umgang von anderen Lebensweisen in Deutschland am Beispiel dieser Handschlagdebatte. Damit wollen wir dem verehrten Shaikh Karim und seiner Moschee unsere Unterstützung und Respekt zollen.
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Muslimen unterschiedlicher Konfessionen wird immer wieder unterstellt, die Gleichberechtigung der Geschlechter abzulehnen, insbesondere die Unterdrückung der Frau zu befürworten. Wir als schiitische Muslime wehren uns stellvertretend für die Muslime insgesamt gegen diese Vorwürfe, weil sie mit dem Wesen und der Lehre des Islams unvereinbar sind. Vorurteile gegenüber Muslimen hinsichtlich der Geschlechtergerechtigkeit sind dennoch weit verbreitet.
Das Tragen eines Kopftuchs oder ein verweigerter Handschlag gelten als vermeintliche Diskriminierung und Respektlosigkeit, obwohl Muslime diese Vorwürfe stets von sich weisen. An dieser Stelle erheben Nicht-Muslime den Anspruch über die Deutungshoheit des Islams. Dies gleicht einer Entmündigung der Muslime und mündet fast zwangsläufig in einer undifferenzierten und pauschalen Debatte über den Islam und die Muslime.
Das muslimische Leben in Deutschland ist jedoch geprägt von Pluralität und Diversität. Dies spiegelt sich in der konfessionellen Vielfalt, den Angehörigen unterschiedlicher Rechtsschulen, in der Herkunft vieler Muslime mit Migrationshintergrund und letztendlich darin wieder, wie Muslime ihren Glauben tagtäglich leben.
So gibt es muslimische Frauen, die aus ihrem Islamverständnis heraus ein Kopftuch tragen und andere, welche es nicht tun. Ferner gibt es muslimische Frauen und Männer, die - mit Ausnahme naher Verwandter-, Personen des anderen Geschlechts nicht berühren. Sie wählen statt des Handschlags, eine andere Form der Begrüßung, indem sie eine Hand auf ihr Herz legen. Dies gilt aus ihrem Islamverständnis heraus als Geste des Respekts und der Anerkennung. Diese Art des Grußes dient dem Schutz der eigenen Intimität und gilt darüber hinaus als Treuebekenntnis zum Ehepartner.
Es geht insofern mitnichten um die Abwertung des anderen Geschlechts, geschweige denn um eine Respektlosigkeit. Alternative Formen der Begrüßung sind nicht mehr oder weniger respektvoll, sondern einfach nur anders. So handhaben es einige mit einem Handschlag, andere mit einer kleinen Verbeugung, einer Umarmung, einem Blick in die Augen, drei Küsschen, mit einer Berührung am Arm oder eben mit der Hand auf das Herz.
Bei unterschiedlichen Begrüßungsformen zweier Personen, darf jeder selbst bestimmen, ob er jemanden bei der Begrüßung berührt oder darauf verzichtet. Das Bedürfnis nach einer körperlich distanzierten Begrüßung gilt es zu respektieren und jeglicher Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung verbietet sich bei entgegenstehendem Wunsch.
Auch in konservativen jüdischen Kreisen ist der Handschlag (die Berührung) von nicht-verwandten Männern und Frauen des jeweils anderen Geschlechts nicht vorgesehen. In Deutschland vermeiden vor allem Rabbiner einen Handschlag. Wir wünschen uns einen entsprechenden verständnisvollen Umgang bei Muslimen wie bei Anhängern des Judentums. Dies gilt ebenso für das Schächten von Tieren, wie für die Beschneidung von Jungen.
Darüber hinaus besteht unser Anliegen darin, auf die unterschiedlichen Auslegungen des Islams hinzuweisen, ohne eine für allgemeingültig zu erklären. So wie Muslime von der nicht- muslimischen Mehrheitsgesellschaft die Akzeptanz ihrer Religion erwarten, müssen auch Muslime, die innerislamische konfessionelle Vielfalt respektieren. Dies gilt selbstverständlich auch für die gesamtgesellschaftliche Pluralität. Auch wenn nahezu jede Religion und Konfession den Wahrheitsanspruch erhebt, führt in einer multireligiösen und –kulturellen Gesellschaft kein Weg an der gegenseitigen Akzeptanz vorbei, solange die Verfassungstreue gegeben ist.
Die Handschlagdebatte ist in letzter Konsequenz nur ein Symptom für den Unwillen oder die Unfähigkeit einiger, mit unterschiedlichen Norm-und Wertvorstellungen in einer pluralistischen Gesellschaft umzugehen. In einer heterogenen Gesellschaft sollten unterschiedliche Lebensweisen im Interesse aller respektiert- und nicht zum Gegenstand einer diskriminierenden Debatte gemacht werden. Wer hingegen die Religionsfreiheit einschränkt, indem er Gläubigen den Handschlag aufzwingt und in die körperliche Selbstbestimmung eingreift, verletzt die Würde der Betroffenen. Solch eine Handlung ist mit dem Geiste der freiheitlich demokratischen Grundordnung unvereinbar.
Wir, die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands, möchten mit dieser Stellungnahme einen Beitrag zu einem zeitgemäßen Leitbild leisten. Deutschland im 21. Jahrhundert ist bunt, vielfältig und heterogen. Deutschland braucht keine Leitkultur, sondern ein Leitbild. Die Einheit in der Vielfalt sollte die Identität Deutschlands im 21. Jahrhundert auszeichnen.