Als Thomas K. die mitgebrachten Schweineköpfe an den Zaun hängte, saßen die Mitglieder des islamischen Kulturzentrums gerade beim Fußball. Gegen 23 Uhr war es, als der Rechtsextremist das Minarett der Grazer Moschee mit Blut beschmierte. Auf Facebook hatte er zuvor zur Schlacht gegen „die Islamisierung“ aufgerufen: „Es ist soweit! Auf in den Kampf! Der Bürgerkrieg muss starten!“. Doch der Kampf des Thomas K. endete vorerst auf der örtlichen Polizeiwache.
Anfang des Monats wurde der „European Islamophobia Report“ vor dem Europäischen Parlament in Brüssel vorgestellt. 37 Wissenschaftler geben dort in 25 Länderberichten einen Einblick in das Ausmaß von Islamfeindlichkeit in Europa und Empfehlungen, wie Politik und Gesellschaft mit dem Problem umgehen sollten. Vor allem infolge der sogenannten Flüchtlingskrise und terroristischer Anschläge in Frankreich hätten Übergriffe auf und das Verbreiten von Stereotypen gegenüber Muslimen zugenommen, schreiben die Macher der Studie. So hätten sich infolge der Anschläge auf Charlie Hebdo islamfeindliche Angriffe in Frankreich verfünffacht. In vielen Ländern zeigten Meinungsumfragen, dass mittlerweile eine Mehrheit der Bevölkerung Muslimen feindlich gegenüber stünden.
Für Islamophobie braucht es keine Muslime
Aber nicht nur in Ländern mit großen muslimischen Minderheiten wie Frankreich sei Islamfeindlichkeit ein Problem. Auch in Ländern, in denen der Anteil der muslimischer Bevölkerung verschwindend gering ist, hätten islamfeindliche Gruppen und Parteien massiv Zulauf bekommen. So warnte in Ungarn der Anführer der rechtsradikalen Fidesz-Partei Antal Rogán vor einem „Vereinigten Europäischen Kalifat“ und der ehemalige Kulturstaatssekretär László L. Simon rief Christen auf, mehr Kinder zu bekommen, um der vermeintliche Überfremdung entgegenzuwirken. Ungarn hat einen muslimischen Bevölkerungsanteil von nicht einmal einem halben Prozent.
Auch in Länder wie Litauen, Polen oder Slowenien sei Islamfeindlichkeit ein „erfolgreiches Werkzeug, um Menschen zu mobilisieren“, stellen die Wissenschaftler fest. Dabei würden Muslime nicht nur krimineller und gewaltbereiter wahrgenommen werden als es der Realität entspricht, sondern ihre Zahl auch deutlich überschätzt. Eine der wichtigsten Feststellungen des Berichts lautet deshalb: Für antimuslimischen Rassismus bedarf es keiner Muslime. Vom Phänomen Islamophobie ließen sich weniger Rückschlüsse auf Muslime ziehen als auf Islamophobe, so der Bericht.
Islamfeindliche Straftaten werden nicht einmal erfasst
„Es gab in der Vergangenheit eine Reihe guter Berichte zu Islamophobie, jedoch nur sporadisch und wenige Länder betreffend“, sagt Farid Hafez. Zusammen mit seinem Kollegen Enes Bayraklı von der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul hat der Politikwissenschaftler von der Uni Salzburg die länderübergreifende Studie initiiert. Der Bericht, der von nun an jährlich erscheinen wird, soll „eine neue Grundlage zur Diskussion über Islamfeindlichkeit in Europa schaffen.“
Auch für Deutschland listet der Bericht zahlreiche Fälle von Islamfeindlichkeit auf. Diese reichen von Pegida-Aufmärschen über den Messerangriff auf die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker bis zur Verbreitung islamfeindlicher Klischees in deutschen Medien infolge der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht. Aber auch konkrete Angriffe auf Muslime und ihre Einrichtungen hätten zugenommen. 416 politisch motivierte Angriffe gegen muslimische Gebetsräume und Moscheen zählte das Bundesinnenministerium von Anfang 2001 bis März 2016. Die Dunkelziffer, das beklagen islamische Religionsgmeinschaften und Anti-Rassismusinitativen, dürfte allerdings viel höher liegen.
Auf eine der Ursachen für die Diskrepanz weisen auch die Macher des „European Islamophobia Reports“ hin: „ Einer der schwierigsten Aspekte bezüglich der Entwicklung von Islamophobie ist das anhaltende Fehlen von zuverlässigen und flächendeckenden Daten von islamphobischen Vorfällen in Deutschland.“ Der Grund: In Deutschland wie auch in vielen anderen europäischen Ländern werden islamfeindliche Straftaten wie der Angriff auf die Moschee in Graz nicht einmal polizeilich erfasst. Die Forderung der Wissenschaftler an die Politik, islamfeindliche Straftaten zumindest zu registrieren, zeigt wie weit der Weg zur Bekämpfung von Islamfeindlichkeit noch ist.