Ich kann nicht behaupten, dass es einfach ist. Das Kopftuch als wichtigste Voraussetzung für den Hidschâb wird nicht akzeptiert. Unsere Prüfung beginnt schon zu unserer Schulzeit: eine junge Schwester, die den Hidschâb tragen möchte, muss dieses Recht leider außerhalb der Schule in Anspruch nehmen. Wie bekannt ist, hat der Staat 2004 religiöse Symbole in Schulen verboten. Während einige Freundinnen weiterhin zur Schule gingen und ihre Identität gleichsam in ihren Taschen zu verstauen versuchten und so den Kampf fortsetzten, versuchten andere (eingeschlossen meiner Person) die Schule von außerhalb zu beenden, aber der Großteil unserer älteren Schwestern war gezwungen ihre Schulausbildung abzubrechen.
Wenn Sie gestatten, möchte ich aus meinem Leben ein Beispiel wiedergeben. Da ich mein Kopftuch nicht ablegen wollte und dies meine Psyche zum Negativen beeinflusste, musste ich die Schule von außerhalb abschließen. Ich hatte weder regelmäßigen Unterricht wie andere, noch das soziale Umfeld, das Schülerinnen brauchen, noch Lehrkräfte, denen ich tagtäglich die mir einfallenden Fragen stellen konnte. Nach diesen Jahren habe ich mit dem Willen Allahs die Hochschulzugangsprüfung bestanden und begann Psychologie zu studieren. An Universitäten ist, Allah sei Dank, das Kopftuch erlaubt. In der Annahme, dass ich nun in Ruhe gelassen werde, schloss ich mein Bachelorstudium ab und begann mit meinem Masterstudium.
Und plötzlich begegneten mir Schwierigkeiten in Bezug auf das Praktikum. Das Praktikum sollte es mir ermöglichen, meine erlernten theoretischen Kenntnisse in die Praxis umzusetzen und so Erfahrung zu gewinnen. Aber dies stellte sich für mich als eine weitere Hürde heraus, die ich überwinden musste. Denn die Zahl der Krankenhäuser und privaten Institute, die mich mit dem Kopftuch annehmen würden, war verschwindend gering. So wie ich bei Vorstellungsgesprächen freundlich abgelehnt wurde, so kam es auch vor, dass ich aufgrund meiner Kleidung gedemütigt wurde. Für eine lange Zeit werde ich den Mann nicht vergessen können, der mir sagte, dass mein Kopftuch gegen den Laizismus verstößt und dass ich auf meiner Arbeitsstelle niemandem meinen Glauben aufzwängen darf und mich deshalb noch nicht einmal anhörte. So wie es Personen gab, die mehr Glück hatten als ich, so gab es auch Schwestern, die schlechteren Umständen ausgesetzt waren als ich.
Wenn wir das Kopftuch tragen, zeigen wir sehr offen unsere Identität und fallen auf, doch auch wenn man kein Kopftuch trägt, wird man von einer Gruppe von Menschen in eine Schublade gesteckt, nur weil man einen muslimischen Namen hat.
Selbstverständlich ist es falsch zu verallgemeinern. Wir lassen uns auch nicht in eine Opferrolle fallen und wir bemitleiden uns nicht selbst, nur weil jeder islamophob oder uns feindselig gesinnt ist. So wie es Menschen gibt, die uns helfen, erleben wir leider nur, wie Menschen auf unsere Leben einwirken, die solche Haltungen haben…
Es kommt sehr oft vor, dass ich mich frage, ob wir es selbst in der Hand haben, diese Denkmuster zu ändern. Wir versuchen den Menschen in unserer Umgebung ein gutes Beispiel zu sein, zu zeigen, wie schön der Islam ist und dass er uns lehrt, respektvoll, liebevoll und anständig zu sein. Ich bin mir bewusst, dass Menschen das fürchten, was sie nicht kennen, und dass jeder Vorurteile haben kann. Wenn ich mir vergegenwärtige, dass insbesondere die muslimische Gesellschaft unentwegt in den Medien gelyncht wird, scheint es manchmal sehr schwer zu sein, diese Vorurteile abzubauen. Viele unserer französischen Mitmenschen, insbesondere jene, die in kleinen Ortschaften leben, wissen nicht, was sie von uns halten sollen, bevor sie uns kennenlernen. Selbstverständlich liegt es in unserer Macht, solche Vorurteile abzuschaffen.
Medien haben eine große Macht und in Zeitungen, im Radio und Fernsehen wird unentwegt über Muslimen berichtet. Unterschwellig wird in die Köpfe der Menschen Furcht eingepflanzt. Während ein bei Terroranschlägen von Normalbürgern diese als psychisch krank bezeichnet werden, wird bei einem Muslim stets seine religiöse Identität in den Vordergrund gestellt. Dies geschieht auch bei der Verheiratung von Minderjährigen, bei Vergewaltigungen und ähnlichem. Frauen mit Kopftuch wird beinahe gar nicht das Wort erteilt und die muslimische Frau muss von feministischen Frauen „verteidigt“ werden. Uns als bemitleidenswerte Frauen zu zeigen, die von ihren Ehemännern und Brüdern gezwungen werden, den Hidschâb zu tragen, kommt ihnen gelegen. Denn auf diese Weise können sie ihr schlechtes Gewissen darüber, dass sie uns gering schätzen, erleichtern.
Ich habe viele muslimische, andersgläubige und sogar atheistische Freunde, die diesen aufgezwungenen Meinungen widersprechen. Je näher sie mich kennenlernen, desto größer ist ihr Interesse an meinem Glauben und desto mehr möchten sie ihn kennenlernen. Junge Menschen sind aufgeschlossener, doch die Vorurteile der Älteren abzubauen gestaltet sich als ziemlich schwierig.
Ungeachtet wie sehr mein tägliches Leben als Studentin ruhig zu sein scheint, macht es mich traurig, wenn ich das Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin mit anderen Ländern vergleiche. Als ich auf einer Reise nach London in staatlichen Einrichtungen arbeitende Schwestern mit Kopftuch sah, war ich ergriffen. Warum sollten sie denn aber nicht dort arbeiten? Ist es nicht ihr gutes Recht? Ich war so daran gewöhnt diskriminiert zu werden, dass ich glaubte, dass ihre Rechte ein Luxus seien…
Wie beurteilen Sie diese Äußerungen französischen Familienministerin?
Zunächst ist es eine Niveaulosigkeit solch eine Erklärung abzugeben, während wir so beschwerliche Tage erleben. Während wir Terroranschläge, Demonstrationen gegen die neuen Gesetze und solch eine hohe Arbeitslosenquote haben, warum der Islam? Weil es das einfachste Thema ist. Einige Tage nach diesen Äußerungen nutzte der Französische Ministerpräsident Manuel Valls die Worte „der Hidschâb ist Versklavung.“ Die Radio- und Fernsehsender luden dem Islam feindlich gesinnte Personen ein und schienen beinahe einen Wettbewerb darüber zu beginnen, wessen Äußerungen nach unangebrachter sind. Islamophobes Verhalten und solche Äußerungen steigen und werden auch weiterhin steigen. Zur gleichen Zeit verhinderten sie aber, dass Tariq Ramadan in Frankreich eine Konferenz hält. Dies ist ein Land der Freiheiten! Jeder hat das Recht seine Meinung kund zu tun…
Es wird eine Doppelmoral an den Tag gelegt. Die Personen in der Staatsführung dürfen sagen, was sie wollen und sind trotzdem im Recht. Ebenso sehr wie ich Türkin bin, bin ich auch französische Staatsangehörige und dies stimmt mich traurig. Zu sehen, dass man von solchen Personen vertreten wird ist wahrlich entsetzlich.
Gegen diese Äußerungen haben eine Reihe muslimsicher Denker Erklärungen abgegeben. Eine dieser Äußerungen gefiel mir sehr. Sie ist vom Präsidenten des CCIF, Marwan Muhammad: „Man sollte Manuel Valls sagen, dass die Arbeitslosigkeit islamisch ist, vielleicht würde es ihn motivieren, die Arbeitslosigkeit abzuschaffen.“ (Il faudrait dire à Manuel Valls que le chômage est islamique. Ça le motiverait enfin à s’en débarrasser.)
Wie beurteilen Sie die Problematik bezüglich des Hidschâb in Frankreich?
Es scheint mir eine stetig größer werdende Wunde zu sein. Je mehr wir versuchen die Wunde zu verbinden, desto mehr wird versucht sie zum Bluten zu bringen. Marin Le Pen, die Vorsitzende der rechtsextremen Partei, auf die in den letzten Wahlen 28% der Stimmen ausfiel, erklärte unter anderem, dass das Kopftuch an Universitäten verboten werden sollte. Den Rest können Sie sich selbst denken.