Der Frankfurter Islamexperte Bekim Agai hat davor gewarnt, soziale Probleme mit Muslimen auf deren Religion zu verkürzen. Dies könne bei der Suche nach Lösungen in die Irre führen, sagt der Leiter des Zentrums für islamische Studien an der Goethe-Universität der Deutschen Presse-Agentur.
„Auch Muslime sind soziale Wesen und werden von ihrem Umfeld geprägt.“ Schwierigkeiten dürften daher nicht als „islamspezifisch“ betrachtet werden. Wenn etwa ein 12-jähriger muslimischer Schüler sich gegen die Autorität einer Lehrerin auflehne, könne das Problem fälschlicherweise im Frauenbild des Islam vermutet werden. Realistischer sei die Annahme, dass es sich um das flegelhafte Verhalten eines pubertierenden Jugendlichen handle. Im Gespräch mit den Eltern oder anderen Autoritäten – das könne auch der Fußballtrainer sein – könne dann eine Verhaltensänderung bewirkt werden.
Agai wies darauf hin, dass es sich bei den „Kulturkämpfen“ zwischen Islam und Christentum um historische Vereinfachungen handle. Schon bei den Kreuzzügen habe es Bündnisse über die Religionen hinweg gegeben. Beispielsweise hätten orientalische Christen die Muslime bei der Befreiung Jerusalems unterstützt.
Historisch gesehen sei der Islam plural und nicht einseitig dogmatisch angelegt, sagt Agai. Der Islam habe sich aber heute mit „modernen totalitären Konzepten“, die auf Nationalismus, Kommunismus oder Faschismus wurzelten, fatal vermischt. Zwischen dem repressiven System im Irak unter Saddam Hussein und der totalitären Ideologie des Islamischen Staats (IS) gebe es mehr Gemeinsamkeiten als es auf den ersten Blick scheine.
Das Frankfurter Zentrum – es gibt nur vier in ganz Deutschland – ist zusammen mit der Uni Gießen auch für die Ausbildung von Lehrern für den islamischen Religionsunterricht in Hessen zuständig. Der in Essen geborene Agai (40), Sohn einer Deutschen und eines Mazedoniers, leitet das Institut seit 2013. Agai ist sunnitischer Moslem. (dpa, iQ)