Schließen Sie bitte die Augen und stellen sich eine muslimische Frau vor. Welche Bilder kommen Ihnen da vor Augen? Welche Begriffe assoziieren Sie mit ihr? Glaubt man dem in Europa vorherrschenden Diskurs über muslimische Frauen, dann werden Sie sich wahrscheinlich eine Frau mit Kopftuch und langem Gewand vorstellen. Eine Frau, die hinter ihrem Mann herläuft und nichts zu sagen hat. Ganz wichtig an dieser Stelle ist die Betonung auf dem Diskurs ÜBER muslimische Frauen. Warum sollte man sie auch einbeziehen? Würde sie sprechen können, dann könnte das Bild der unterdrückten, ungebildeten und hilflosen Frau einen Riss bekommen. Somit ist allein der Gedanke ein Widerspruch zu dem Bild über die muslimische Frau.
Auf diesem Grundgedanken ist die Aussage der französischen Familienministerin, Laurence Rossignol, zu betrachten. Ihr Vergleich der Akzeptanz des Kopftuchs mit der Sklaverei ist abscheulich, vor allem weil sie es in der Position einer staatlichen Repräsentantin und als Volksvertreterin getan hat.
Vereinfacht ausgedrückt gibt es Frauen, die muslimische Frauen befreien wollen und in ihrer Religion die Wurzel ihrer Unterdrückung sehen, auf der anderen Seite gibt es Frauen, die in ihrer Religion und ihrer Entscheidung dafür einen Akt der Emanzipation sehen, den sie sich nicht nehmen lassen. Im Grunde genommen, scheint die Lösung ganz einfach. Man könnte beide Seiten einfach zusammen bringen und die Sache klären. Bei zahlreichen, muslimischen Akademikerinnen, auch in Frankreich, müsste doch eine Frau Rossignol schnell überzeugt sein.
Leider ist es nicht so einfach. Denn in diesem Diskurs geht es um mehr. Es geht darum zu verstehen, dass nicht alle Menschen die gleichen Werte vertreten und das so stehen zu lassen. Im Zuge der Debatte um das Kopftuchgesetz in Frankreich 2004 haben sich viele unterschiedliche Frauen unter dem Slogan „Wenn ich das Recht habe mich auszuziehen, muss ich auch das Recht haben, mich anzuziehen“ zusammen getan. Hier ist etwas essentiell Wichtiges passiert. Obwohl die Frauen von ihren Lebenseinstellungen und ihren Wertevorstellungen her sehr unterschiedlich waren, haben sie doch gesehen, dass ihre Freiheit nur dann wirklich gesichert ist, wenn sie allumfassend ist.
Wir können in der heutigen Zeit von Globalisierung und beständiger Migration nicht davon ausgehen, dass das gesellschaftliche Bild so bleibt wie es ist. Vielfalt ist nicht etwas, was wir uns selbst so gestalten können, wie wir gern hätten. Wir können nicht ein türkisches Hamam in unserer Nachbarschaft befürworten, aber dem türkischen Inhaber verwehren eine Moschee zu bauen. Wenn wir in unserer heutigen Welt tatsächlich friedlich miteinander leben wollen, müssen wir alle lernen, dass Werte nicht immer universell sind. Es ist an der Zeit Menschen mit anderen Werten wie zum Beispiel dem Kopftuch zu sehen und es ihnen zuzugestehen, auch wenn man es für sich ablehnt. Genauso muss aber auch auf muslimischer Seite ein Minirock als eine freie Entscheidung einer Frau gesehen und ohne Vorurteile belassen werden. Letztendlich haben wir alle Schwierigkeiten damit, fremde Werte zu verstehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir alle anfangen zu lernen und uns gegenseitig in unserer freien Entscheidung für unsere Werte zu sehen und stehen zu lassen.