Das Projekt „Interkulturelle Qualifizierung von Imamen“ zielt auf die sprachliche und landeskundliche Fortbildung von religiösem Personal in islamischen Gemeinden in Deutschland. Angesprochen werden 70 Imame, die in marokkanischen oder schiitischen Gemeinden aktiv sind. Die Fortbildungen und Workshops finden bis September 2017 in Berlin, Hamburg und an verschiedenen Standorten in Hessen statt . Organisiert und umgesetzt werden sie vom Goethe-Institut in enger Kooperation mit den marokkanischen Gemeinden in Deutschland, dem Conseil de la communauté marocaine à l'étranger (CCME) sowie der Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland (IGS). Ein Interview mit dem Projektleiter „Migration und Integration“ der Goethe-Institute in Deutschland, Sebastian Johna.
Herr Johna, was sind aus Ihrer Sicht derzeit die „heißesten“ Themen in muslimischen Gemeinden in Deutschland?
Es gibt eine ganze Reihe wichtiger Themen, zum Beispiel soziales Engagement. Da geht es um die Belange von Muslimen, die nicht mehr zurück ins Heimatland gehen, sondern hier in Deutschland alt werden, um Angebote in der Seelsorge, um die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und vieles mehr. Mitglieder islamischer Gemeinden tun da schon sehr viel, oft aber unorganisiert. Weit über 90 Prozent von dem, was Muslime für ihre Gemeinde tun, leisten sie ehrenamtlich und im Stillen – es fehlt an hauptamtlichen Mitarbeitern und auch an Sichtbarkeit des Engagements. Beides wäre wichtig für die Gemeinden, aber auch aus der Sicht von Staat und Gesellschaft. Ein weiteres wichtiges Thema sind Radikalismus und Terror, in den aktuellen Krisenregionen und hier in Europa. Das Thema beschäftigt islamische Gemeinden seit vielen Jahren, nicht erst seit den Anschlägen von Paris.
Wie geht das Projekt „Interkulturelle Qualifizierung von Imamen“ auf diese Themen ein?
Uns ist es wichtig, dass wir vom Bedarf der Teilnehmenden ausgehen. Das Goethe-Institut schreibt nicht vor, über welche Themen gesprochen werden soll - wir setzen den Rahmen für einen gemeinsamen Austausch und fragen die Teilnehmenden: „Was ist euch wichtig?“ Durch diesen partizipativen Ansatz gestalten wir Workshops nach Bedarf, bieten Information oder Unterstützung an und laden Experten ein. Im Mittelpunkt können dabei zum Beispiel landeskundliche oder auch ganz praktische Fragen aus dem Gemeindealltag stehen. Immer mit einem Bezug zur Arbeit mit Jugendlichen. Das ist der Schwerpunkt des Projekts.
Was meint eigentlich der Begriff „Interkulturelle Qualifizierung“? Was kann man sich konkret darunter vorstellen?
Das Projekt richtet sich an Menschen, die sämtlich nicht in Deutschland sozialisiert und ausgebildet wurden, sondern zum Beispiel im Iran, Irak, Libanon oder auch in Ländern des Maghreb. Diese Menschen sind Experten in der Kommunikation mit ihren Landsleuten sowie durch die Nähe des Islams zu staatlichen Strukturen in ihren Heimatländern. Hier in Deutschland finden sie aber ganz andere Strukturen vor. Zum Beispiel treffen sie in ihren Gemeinden auf Töchter und Söhne marokkanischer Einwanderer, zu denen sie nur schwer Zugang finden, aber als Autorität auftreten sollen. Hier wollen wir ansetzen, indem wir landeskundliche sowie sprachliche Kenntnisse vermitteln und dadurch auch die Kommunikation und das Verständnis für junge Muslime in Deutschland verbessern, die hier geboren und aufgewachsen sind.
Nach welchen Kriterien wurden die Teilnehmenden ausgewählt?
Der Kontakt zu den marokkanischen Gemeinden und den schiitischen Gemeinden in Deutschland besteht schon lange. Beide Verbände sind aus unterschiedlichen Gründen interessant: Die marokkanische Community ist zwar weniger sichtbar als beispielsweise die türkische, trotzdem spielt sie eine wichtige Rolle, gerade in Nordrhein-Westfalen und Hessen. Der schiitische Verband hingegen ist heterogener, die Mitglieder stammen aus ganz unterschiedlichen Ländern. Die Verkehrssprache des Verbands ist deshalb Deutsch. Indem das Projekt beide Verbände zusammenbringt, regt es indirekt auch den innerislamischen Dialog zwischen Sunniten und Schiiten an.
Ein maßgebliches Vorgängerprojekt war „Muslimische Gemeinden als kommunale Akteure“. Welche Erfahrungen bzw. Beobachtungen haben Sie bei diesem Projekt gemacht und welche Konsequenzen haben Sie daraus für Ihr neues Projekt gezogen?
Wir haben viel gelernt. Zum Beispiel arbeiteten wir mit sehr engagierten Muslimen zusammen. Oft waren die schon so aktiv, dass ein weiteres Engagement zeitlich schwer zu leisten war. Wir haben gelernt, dass auch ein noch so gut gemeintes Angebot „vermittelt“ werden muss – der Einzelne muss einen Mehrwert für sich erkennen, damit er sich engagiert. Darauf achten wir jetzt stärker. Außerdem haben wir einiges über die Vielfalt des Islam in Deutschland aber auch die Unterschiede im kommunalen Zusammenleben gelernt. Das fängt schon bei der Sprache an und betrifft Sensibilitäten für die Art und Weise wie etwas gesagt wird. Was in Hamburg gut ankommt, funktioniert in München nicht ohne Weiteres. Die kommunale Gesprächskultur hat einen starken Einfluss auf Zugewanderte.
Das Projekt „Muslimische Gemeinden als kommunale Akteure“ bildete etwa 100 Männer und Frauen als Ansprechpartner für kommunale Themen fort. Das neue Projekt „Interkulturelle Qualifizierung von Imamen“ richtet sich fast ausschließlich an Männer. Warum?
Unter Imamen gibt es auch Frauen, allerdings eine sehr kleine Minderheit. Es ist nicht so, dass wir ausschließlich mit Männern arbeiten wollen würden, nur bringt das unsere Zielgruppe mit sich. Wir freuen uns, dass derzeit wenigstens eine Dame unter den Teilnehmenden dabei ist. Wir würden uns wünschen, dass noch mehr dazukommen, aber wir rechnen nicht damit. Allerdings achten wir darauf, auch Frauen als Experten zu den Projektveranstaltungen einzuladen. Ihnen zuzuhören, kann bereits eine interkulturelle Leistung sein – und ist es für manche unserer Teilnehmer sicherlich.
Kann das Goethe-Institut mit dem Projekt auch einen Beitrag zur aktuellen Flüchtlingsdebatte leisten?
Wir können von Menschen lernen, die einen ganz persönlichen Bezug zum Thema Flucht und Vertreibung haben – eine ganz eigene, auch emotionale Sichtweise haben. Oft haben sie Angehörige, die davon unmittelbar betroffen sind und um die sie sich kümmern oder sind selbst als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Im Gespräch können wir lernen, welchen Bedarf an Angeboten es gibt und woran es mangelt. Doch wir sollten den Kontakt keinesfalls auf das Thema Flucht reduzieren. Das ist nicht das Kernthema des Projekts. Die wichtigste Frage von unserer Seite ist immer: „Was wollt Ihr fragen? Womit wollt ihr euch beschäftigen?“
Das Projekt läuft noch etwa anderthalb Jahre, bis September 2017. Wenn Sie es sich wünschen könnten: Welches Ziel hätten sie dann mit dem Projekt erreicht?
Lange Zeit bestand die Auffassung, dass der Einfluss ausländischer Strukturen auf die islamischen Communities in Deutschland möglichst vermieden werden muss. Gern würden wir zeigen, dass es durchaus sinnvoll sein kann, mit ausländischen Partnern zusammenzuarbeiten. Offen und mit klaren Regeln. Außerdem wünsche ich mir einen ganz konkreten Nutzen für jeden Teilnehmenden: dass er oder sie beispielsweise in der Lage ist, ein umfassenderes Deutschlandbild zu vermitteln, sich besser auf Deutsch ausdrücken kann und auch, dass die Kommunikation zwischen Imamen und jungen Muslimen verbessert wird.
Die Fragen stellte Carola Gruber.