Streumunition, die US-amerikanische Rüstungskonzerne an Saudi Arabien verkauft haben, wurde bei Angriffen auf Wohnviertel in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa verwendet. Dies erklärte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Sie fordert eine internationale Untersuchung für dieses vermutliche Kriegsverbrechen, an das sich nicht zuletzt auch die USA beteiligen, indem sie die Saudi-geführte Koalition in Jemen militärisch unterstützen.
Die von Saudi-Arabien angeführte Koalition hat das internationale Kriegsrecht ernsthaft verletzt, indem sie am 6. Januar wahllos verschiedenste Typen von Bomben auf Stadtteile der jemenitischen Hauptstadt abwarf. Darüber informierte das HRW in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht.
„Die wiederholte Nutzung von Streumunition durch die von Saudi Arabien angeführte Koalition inmitten von eng besiedelten Städten lässt vermuten, dass sie Zivilisten gezielt schaden will, was einem Kriegsverbrechen entspricht“, sagte der HRW-Direktor für waffentechnische Angelegenheiten, Steve Goose. Er bezeichnet die Übergriffe als „empörend“.
Am gestrigen Sonntag berichtete die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF), dass Niederlassungen ihrer Organisation im Jemen zum wiederholten Mal durch die saudische Koalition aus der Luft angegriffen wurden. Bei dem aktuellen Angriff auf die MSF-Station im Razeh-Bezirk der Provinz Sa`ada seien laut Angaben der Hilfsorganisation mindestens vier Menschen getötet worden. Weitere zehn Personen wurden verletzt. Dies sei bereits der dritte militärische Übergriff auf Ärzte ohne Grenzen in den vergangenen drei Monaten.
Während bislang keine Berichte über zivile Opfer bei den Angriffen von Mittwoch vorliegen, zitierte HRW Augenzeugen, die angeblich mitbekamen, wie Streumunition zahlreiche Wohnhäuser und Autos in Sanaa zerstört hätten. Die Organisation erläutert, es wurden infolge von Luftangriffen „zahlreiche Häuser und lokale Kindergärten mit zerlöcherten Wänden und gebrochenen Fenstern“ dokumentiert.
HRW überprüft ein international verbindliches Abkommen, nach dem sich die meisten Staaten dieser Erde verpflichtet haben, die kriegerische Nutzung von Streumunition wegen ihrer unkontrollierbaren Auswirkungen zu ächten. HRW führte in seinem Report an:
„Human Rights Watch sah Fotografien vom 6. Januar aus Sanaa, die Reste von Streumunition abbilden, einschließlich nicht-explodierter Bomben.“
In der Nähe des Abwurfortes liegt ein „kleines“ militärisches Ziel, ein Militärbüro mit dazugehöriger Garage. Beide sind jedoch hunderte Meter vom Einschlagsort entfernt.
Indes identifizierte die Menschenrechtsorganisation die in Sanaa eingesetzte Streumunition als „in den USA hergestellte Gleitbomben vom Typ BLU-63 sowie Teile einer CBU-58 Streubombe“. Sie bemerkte, dass einige Bomben Kennzeichnungen hätten, die darauf hinweisen, dass die Systeme im Jahr 1978 in den Vereinigten Staaten hergestellt wurden. Laut offiziellen US-amerikanischen Ausfuhr-Auflistungen, in die HRW Einsicht erhielt, exportierte Washington zwischen 1970 und 1995 rund 1.000 Streubomben nach Riad.
„Die USA sind Teil des bewaffneten Konflikts in Jemen. Sie spielen eine direkte Rolle bei der Koordinierung von saudischen Militäroperationen und deshalb sind sie auch verpflichtet, diesen vermeintlichen Kriegsverbrechen nachzugehen, an denen ihre Truppen teilnehmen“, kritisierte HRW. Schließlich forderte die Organisation, dass eine internationale Untersuchung vom UN-Menschenrechtsrat eingeleitet werden soll.
„Es mag zwar 20 Jahre her sein, als die USA die Saudis mit Streumunition versorgten, aber nichtsdestotrotz wurden sie jetzt benutzt, um Zivilisten zu töten“, erläuterte Goose und mahnte, dass sich die USA mitschuldig machen würden, wenn sie ihre Koalitionspartner nicht auffordern, die Nutzung von Streumunition endlich einzustellen.
Im Zuge des jemenitischen Bürgerkrieges starben einer aktuellen UN-Stellungnahme von Anfang dieser Woche bereits bis zu 2.800 Zivilisten. Anfang dieses Jahres hob Riad einen ohnehin fragilen Waffenstillstand wieder auf, um den seit rund einem Jahr anhaltenden Luftkrieg im Jemen fortzuführen.
Nachdem die Huthi-Milizen im Februar 2015 die Hauptstadt Sanaa einnahmen und das Parlament auflösten, sowie den Präsidenten Abdurrabu al-Hadi aus dem Amt drängten, entschied Saudi Arabien in Abstimmung mit Ägypten und anderen sunnitisch regierten Staaten im März 2015 eine Offensive gegen die schiitisch geprägte Huthi-Minderheit zu starten.
Riad betrachtet Jemen, die ärmste arabische Republik der Region, traditionell als „eigenen Hinterhof“, der durch die pro-iranischen Huthi-Bewegung empfindlich gestört wurde. Für die Radikalisierung der Huthi-Minderheit, welche rund ein Drittel der jemenitischen Gesamtbevölkerung ausmacht und vor allem im Nordwesten des Landes lebt, macht Saudi Arabien seinen regionalen Rivalen die Islamische Republik Iran verantwortlich. Teheran wiederum lehnt jegliche saudische Rechtfertigungsmuster als nicht belegbare Unterstellungen einer „imperialistisch handelnden Golfmonarchie“ ab.