Das saudische Königshaus wird die Geister, die es rief, nicht los: Das Bündnis mit den Wahhabiten - Anhängern einer rigiden und intoleranten Auslegung des Islam - sichert die Macht der königlichen Familie. Doch der Preis ist hoch, meint Sabine Rossi.
Muhammad al-Arifi ist ein Star. Seine Fans liegen dem saudi-arabischen Scheich zu Füßen. An Freitagen sogar im Wortsinne: Dann steht der sunnitische Imam vor mehreren Hundert Gläubigen, die sich gen Mekka neigen, in einer prächtigen Moschee in Riad und leitet die Gemeinde zum Mittagsgebet. Er trägt eine weiße Robe mit Kapuze, aus der sein langer Fusselbart herausschaut.
Seine Botschaften an die Gläubigen: Polygamie sei kein Problem, der Prophet habe schließlich auch mehrere Ehefrauen gehabt. Regelmäßig bete er für Osama Bin Ladens Seele, denn der sei Opfer einer weltweiten Rufmordkampagne. Der Dschihad in Syrien müsse unterstützt werden – weshalb al-Arifi gern zu Geldspenden aufruft für die Kämpfer gegen die von ihm so gehassten Schiiten.
Mit solchen Predigten kommt er an, besonders bei Jugendlichen. Sein Erfolg zahlt sich aus. Nicht nur der Saum seines Mantels ist in Gold gehalten, er führt ein Leben im Luxus. Zur Predigt fährt er in einer Limousine, am Steuer sitzt nicht er selbst, sondern sein Chauffeur.
Doch manchmal unternimmt er Ausflüge in die Diaspora. Zwar wird er auch hier hofiert, nur wartet am Flughafen keine Limousine, sondern eher ein Opel, älteres Modell. Seine Auftritte absolviert er dann in handverlesenen Salafisten-Moscheen. Und die sind nicht prächtig wie in Saudi-Arabien. Sondern erinnern eher an Garagenhöfe. YouTube-Videos zeigen al-Arifi bei Auftritten in Tansania, Neuseeland – und in Mainz, Heidelberg und Berlin.
Eventpredigten
Mehrfach war er bereits Gast in deutschen Moscheen – sein Publikum hier ist zwar weniger zahlreich, auch nicht vermögend wie in Saudi-Arabien, aber nicht minder begeistert. Regelrechte Tourneen durch mehrere deutsche Städte hat al-Arifi bereits absolviert. Er ist nicht der einzige ausländische Imam, dessen Predigten zum Event stilisiert werden, sondern einer der Helden einer ganzen Szene: der Wanderimame.
Immer wieder laden sich Moscheen in Deutschland radikale Vorbeter aus dem Ausland ein. Diese Imame absolvieren regelrechte Touren, sie werden verehrt wie sonst die Sänger einer Boyband. Plakate, die auch für Konzerte werben könnten, kündigen ihre Auftritte in verschiedenen Moscheen Deutschlands an. Neben den Predigten halten die Imame auch Seminare ab, in denen es um gute Glaubensführung geht und den wahren Islam. Oft finden diese Seminare rund um die christlichen Feiertage statt, an den Weihnachtstagen, um Ostern oder Pfingsten. Und immer wieder fallen die Wanderimame dabei durch ihre radikalen Äußerungen auf.
Ihre Namen sind bekannt. Nicht nur in der radikalen Moschee-Szene, sondern auch bei deutschen Verfassungsschützern. Da ist zum Beispiel Scheich Bilal Philips. Geboren in Jamaika, konvertiert in Kanada, radikalisiert in Saudi-Arabien. Während des zweiten Golfkriegs arbeitete er Strategien aus, amerikanische Soldaten zum Islam zu konvertieren. In Frankfurt und Berlin predigte er über Homosexualität, die er für eine Bedrohung für die Gesellschaft hält.
Da ist Fathy Aid, gebürtiger Ägypter. Er lernte "den Koran seit frühester Kindheit" auswendig und studierte Recht und Geschichte an der ehrwürdigen al-Azhar-Universität in Kairo. Danach unterrichtete er eine Weile in Somalia. Seit einigen Jahren lebt und lehrt er in Deutschland und tourt hier von einer Moschee zur anderen. Er hat Bücher geschrieben, in denen er "Ratlosen" den "Weg zum Glauben" erklärt und erläutert, dass Gott die Welt in Gläubige und Ungläubige aufgeteilt hat.
Da ist Scheich Neil Bin Radhan, aufgewachsen in Saudi-Arabien, auch er Autor mehrerer Bücher. Auf seiner Homepage vermerkt er: "Es ist nicht auszuschließen, dass die auf der Seite veröffentlichten Inhalte manchmal im Widerspruch zur hiesigen Gesetzgebung stehen." Doch sei dies keine Aufforderung zur Umsetzung hier in Deutschland. Folgt man Radhans Interpretation der islamischen Schriften, dann haben Kriegsgefangene in einem dschihadistischen Angriffskrieg keine Persönlichkeitsrechte. Frauen dürften daher "ganz legal" als "Sex-Sklavinnen" gehalten werden.
Die meisten dieser Prediger kommen aus Saudi-Arabien oder haben enge Verbindungen dorthin. Das ist kein Zufall. Saudi-Arabien ist das Mutterland des Wahhabismus – jener islamischen Reformbewegung, die zur wichtigsten Wurzel des Salafismus wurde. Seit mehr als 50 Jahren verbreiten saudische Geistliche ihre Lehren – weltweit. Im Rücken haben sie großzügig finanzierte staatliche Institutionen. Al-Arifi zum Beispiel ist Professor an der König-Fahd-Universität in Riad. Und die sponsert das Sendungsbewusstsein ihres Dozenten.
Für die deutschen Gemeinden, die ihn einladen, sind die Besuche ein Geschenk. Weder den Moscheen noch den Gläubigen entstehen Kosten. "Für die Prediger ist das eine Art Dienstreise", sagt Benno Köpfer. Der Islamwissenschaftler leitet die Analysegruppe Internationaler Extremismus und Terrorismus beim Verfassungsschutz Baden-Württemberg.
"Wenn so ein Prominenter kommt, dann wertet das die Moschee natürlich auf", sagt Köpfer. "Auf so etwas wartet die Szene." Die Inhalte dieser Predigten seien häufig harmlos, sagt Köpfer, "aber aufgrund der gedanklichen Schlichtheit verführerisch". Viele der Imame aus dem Ausland reisten mit dem Anspruch an, die Jugend in der Diaspora zu beraten. "Aber sie bereiten durch ihre Predigten natürlich den Nährboden für den Schritt in die Radikalisierung."
Popstar unter den Radikalen
"Salafismus ist kein Klub, dem man beitreten kann", sagt Köpfer. Der Salafismus in Deutschland sei eine heterogene Strömung, ein ganz loses Netz unterschiedlicher Szenen. "Die Imame werden eingeladen, weil sie jemanden aus der Gemeinde kennen, mit dem sie vielleicht studiert haben."
In ihrer Heimat sind sie längst berühmt. In Deutschland bejubelt sie eine kleine, radikale Minderheit. Ihre vor allem jugendlichen Fans auf der ganzen Welt unterrichten sie sorgsam durch die sozialen Medien über ihr Leben und ihre Lehren. Muhammad al-Arifi hat auf Twitter 11 Millionen Follower, eine halbe Million Menschen haben seinen YouTube-Kanal abonniert, bei Facebook hat er 140.000 Freunde. Al-Arifi verstehe ihre Probleme, sagen die, die ihn bejubeln. Oft macht der Scheich Scherze, wenn er sich an sein Publikum wendet. Die Jugendlichen finden: Er spricht zu ihnen auf Augenhöhe. Sie schätzen seinen bodenständigen Stil – und einige auch sein gutes Aussehen. Es gibt Frauen, die nennen ihn den "Tom Cruise des Salafismus". Er ist ein Popstar unter den Radikalen.
Seinen Ruhm fördert Saudi-Arabien mit staatlichen Mitteln – und die sind dank des Ölreichtums äußerst großzügig vorhanden. Doch auf den Luxus ihrer Heimat müssen die Imame in Deutschland verzichten. Reisen die Wander-Imame nach Deutschland, dann wohnen sie nicht in den teuren Hotels der Stadt. Oft übernachten sie in den Gästewohnungen der Moscheen. Oder in Privatwohnungen von Gläubigen. So wohl auch al-Arifi. Von seinem letzten Besuch in Deutschland kursieren Bilder, die ihn in den Wohnungen seiner Fans zeigen. Die Jugendlichen selbst haben diese Bilder ins Internet gestellt. Sie zeigen al-Arifi, umringt von jungen Gläubigen. Der Scheich verteilt Datteln, ein Geschenk aus seiner Heimat.
Manchmal jedoch haben die Imame mehr als Trockenfrüchte im Gepäck. So geht der Verfassungsschutz Bremen davon aus, dass Saudi-Arabien neben Predigern auch Bargeld schickt. In der Hansestadt steht das Islamische Kulturzentrum Bremen (IKZ) seit Jahren im Fokus der Sicherheitsbehörden. Regelmäßig treten auch hier Wanderimame von der Arabischen Halbinsel auf. Erst kürzlich durchsuchten Polizisten nach einer Terrorwarnung die Räume der Gemeinde, weil sie hier ein Waffenversteck vermuteten. Der Innensenator der Stadt ist sich sicher: Das IKZ werde finanziell aus Saudi-Arabien unterstützt.
Doch damit die Sicherheitsbehörden aktiv werden, muss schon ein ernster Verdacht vorliegen. "Salafismus ist nicht per se illegal. In Deutschland dürfen die Imame predigen", sagt Köpfer. Erst, wenn die Inhalte der Predigten verfassungsfeindlich werden, habe dies eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz zur Folge. Erst, wenn zu Gewalt aufgerufen wird, würden die Strafverfolgungsbehörden aktiv. Den ausländischen Predigern wird dann die Einreise verwehrt. So auch im Fall von Muhammad al-Arifi. Der Tom Cruise des Salafismus darf den Schengen-Raum nicht mehr betreten.
Doch Plakate kündigen schon die nächsten Auftritte anderer Wanderimame an. An Ostern. The show must go on.