AhlolBayt News Agency (ABNA)

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Freitag

30 Oktober 2015

17:34:28
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Offener Brief an Landesvorsitzenden

In einem offenen Brief kritisiert der Arbeitskreis Muslimischer Sozialdemokraten die Entscheidung des Berliner Senats zum Kopftuchverbot im Öffentlichen Dienst und fordert Landesvorsitzenden Jan Stöß auf, dagegen vorzugehen. Wir veröffentlichen den Brief in voller Länge.

Offener Brief des Arbeitskreises Muslimischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an den Landesvorsitzenden der Berliner SPD Jan Stöß zur Position der Parteiführung zum Neutralitätsgesetz

Lieber Jan,
wiederholt hast du dich für die Beibehaltung des Neutralitätsgesetzes ausgesprochen und auch der Presse dürfen wir entnehmen, dass die Berliner Parteispitze angeblich geschlossen für die Beibehaltung des Neutralitätsgesetzes sei.

Das Berliner Neutralitätsgesetz verzichtet zwar im Vergleich zu anderen Bundesländern auf eine Privilegierung christlicher, jüdischer und abendländischer Werte, dennoch handelt es sich um ein pauschales Kopftuchverbot und ein solches ist – wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27.01.2015 (Az. 1 Bv R 471/10 und 1 BvR 1181/10) deutlich macht – verfassungswidrig! Auch wenn die beiden Klägerinnen, die diesen Beschluss erwirkten, aus NRW stammen, ändert das nichts daran, dass Entscheidungen des BVerfG nach § 31 Abs. 1 BVerfGG die Organe aller Bundesländer binden, d.h. den Rahmen der Auslegungsmöglichkeiten gesetzlicher Normen vorgeben.

Und dieser Rahmen heißt nunmehr mit Blick auf die kopftuchtragenden Lehrerinnen: ein Verbot ist nur dann zulässig, wenn der Schulfrieden nachweislich nachhaltig gestört ist. Wie bereits das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses festgestellt hat, ist daher davon auszugehen, dass die bestehende Regelung des Neutralitätsgesetzes verfassungswidrig ist. Damit wurde dem Neutralitätsgesetzt als Projekt „Laizismus light“ die Daseinsberechtigung entzogen. Das Gesetz trotzdem beibehalten zu wollen, wohl wissend um seine Verfassungswidrigkeit und in der Hoffnung, dass keine Frau sich findet, die den Mut und die Kraft aufbringt, dagegen zu klagen, ist unserer Partei unwürdig.

Unser Grundgesetz garantiert nach Art. 4 Abs. 1 die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Diese umfasst nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Recht, sein Leben nach religiösen Richtlinien auszurichten und ist nur durch kollidierende Grundrechte anderer überhaupt einschränkbar. Den Rahmen, was dies konkret bedeutet, hat das Bundesverfassungsgericht deutlich abgesteckt. Erstaunlicherweise hat der Parteivorstand in der Mitgliederbefragung die Frage zum Neutralitätsgesetz jedoch in einer Weise formuliert, die diesen Rahmen deutlich verlässt und zudem islamophobe Reflexe bedient.

Lieber Jan, Dir als Richter an einem Fachgericht ist die Bedeutung des § 31 BVerfGG im Konzert der politischen Organe und Mächte klar. Dass der Parteivorstand trotzdem zu einer solchen Fragestellung gelangen konnte, irritiert uns sehr. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung zum Kopftuch Vorgaben gemacht. Wir begrüßen die Einbeziehung der Mitglieder und damit die Mitgliederbefragung, jedoch nicht mit dieser Fragestellung. Wie kann es eine Mitgliederbefragung dazu geben, ob die Partei Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts befolgt oder nicht? Uns irritiert besonders deine Aussage: „[…] Stellen Sie sich vor, welche Konflikte es geben würde, wenn Schüler arabischer Herkunft von einem Lehrer mit Kippa unterrichtet würden“. Wir erwarten, dass klargestellt wird, was du mit dieser Aussage konkret meinst.

Wir sind eine plurale Gesellschaft, und wenn Frauen mit Kopftuch in der Schule nur putzen, aber nicht unterrichten dürfen, oder Männer mit Kippa im Gericht den Müll wegräumen, aber nicht Recht sprechen dürfen, senden wir damit auch eine Aussage an die Kinder in der Schule und an alle Menschen. Neutralität sieht anders aus: Neutralität bedeutet, die Vielfalt unserer Gesellschaft als Normalität zu begreifen und überall zuzulassen und nicht Menschen auszugrenzen und sie mit Berufsverbot zu belegen.

Uns irritiert zudem die fehlende parteiinterne Diskussion, nicht zuletzt die Absage der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen an einen offenen Diskurs. Die SPD hat im Zuge ihrer Parteigeschichte Frauen schon immer gestärkt und sie unterstützt. So erwarten wir als muslimische Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, dass sie die Aufhebung des Kopftuchverbots begrüßt, um somit das Empowerment muslimischer Frauen mitzutragen und ihnen einen gleichberechtigteren Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Es ist an der Zeit, dass der Berliner Parteivorstand sich auf die historischen Werte der Sozialdemokratie zurückbesinnt. Auf Augenhöhe zu seinen Wählern, für Gerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe kämpfend, offen für alle, insbesondere offen für Frauen, die gleichberechtigt teilhaben möchten, offen für die Jugend, die keinerlei Verständnis aufbringt für solcherlei Verbote. Wir setzen uns ein für unsere Partei, die Vielfalt lebt und wertschätzt, das Recht auf Selbstbestimmung fördert und der Jugend zugewandt ist und fordern den Berliner Parteivorstand auf, sich endlich wieder auf die Grundwerte der Sozialdemokratie zu besinnen.

Berlin, den 27.10.2015

Die Sprecherinnen und Sprecher des Arbeitskreises Muslimischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten

Mohamed Ibrahim, Atila Ülger, Tuba Isik, Lydia Nofal, Selma Yilmaz-Ilkhan