Deutschland bereitet sich auf die Aufnahme von mehreren tausend Flüchtlingen aus Ungarn vor.
Nachdem die Bundesregierung und Österreich in der Nacht zum Samstag angesichts chaotischer Zustände in Ungarn die Einreise freigaben, kamen Tausende Flüchtlinge in Bussen und Zügen in Österreich und Bayern an. Die Regierung von Oberbayern rechnete mit bis zu 7000 Migranten allein am Samstag und richtete in Hallen Tausende Plätze zur Versorgung der Menschen ein. Auch in anderen Bundesländern wurden Notunterkünfte eingerichtet. Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte in Luxemburg, die entgegen europäischen Regelungen erlaubte Einreise der Asylsuchenden nach Deutschland und Österreich müsse eine Ausnahme bleiben. Zunächst gab jedoch die Bundesregierung nicht bekannt, wie lange die freie Einreise gewährt werden würde.
Der Münchner Hauptbahnhof entwickelte sich zur Drehscheibe, von der aus die Menschen auf Aufnahmeeinrichtungen und Notunterkünfte verteilt wurden. Die meisten Flüchtlinge reisten in regulären und in Sonderzügen über Österreich nach München. Polizeibeamte, Katastrophenhelfer und Freiwillige sorgten für eine reibungslosen Empfang. In München wurden die Hilfesuchenden direkt am Bahnhof oder in einer schnell hergerichteten Fabrikhalle in der Nähe mit Nahrungsmitteln sowie Kleidung versorgt, bevor es weiterging.
Die Behörden verloren zwischenzeitlich den Überblick über das Ausmaß. Während es am Vormittag noch hieß, bis zu 10.000 Menschen würden erwartet, sprach der Regierungspräsident von Oberbayern, Christoph Hillenbrand, am späten Nachmittag von 7000 Flüchtlingen. Nach Angaben der Österreichischen Bahn sollen über Nacht keine Flüchtlingstransporte von der ungarischen Grenze nach Deutschland fahren. Am Sonntag würden die Fahrten wieder aufgenommen, sagte eine Sprecherin in Wien.
FLÜCHTLINGE SOLLEN AUF ALLE BUNDESLÄNDER VERTEILT WERDEN
Eine Sprecherin der Regierung Oberbayern erklärte, Bund und Länder hätten sich darauf verständigt, die Asylsuchenden nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel zu verteilen, nach dem jedes Bundesland eine bestimmte Quote aufnehmen muss. Bereits am Samstag fuhr ein Sonderzug ohne Halt in München nach Saalfeld in Thüringen durch. Von dort aus sollten die bis zu 600 Reisenden in Unterkünfte in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verteilt werden.
Auch in Österreich liefen die Bemühungen zur Betreuung der Hilfesuchenden auf Hochtouren. "6500 Flüchtlinge sind bereits in Österreich", erklärte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am Nachmittag. "Davon sind etwa 2200 auf dem Weg nach Deutschland.
Der Rest wird jetzt versorgt gesundheitlich und mit Essen und Trinken." Sie rechnete damit, dass die meisten nach Deutschland oder Schweden weiterreisen wollten. Nur zehn Flüchtlinge hatten bis zum Mittag Asyl in Österreich beantragt.
In Ungarn hatten sich viele Flüchtlinge geweigert, sich registrieren zu lassen. Nach EU-Regeln ist eigentlich das Land für Neuankömmlinge zuständig, in dem sie zuerst den Boden der Gemeinschaft betreten. Die Regierung in Budapest wollte zunächst die Verpflichtungen erfüllen und die Flüchtlinge aufhalten. Mit der überraschenden Bereitstellung von Bussen gestand sie aber indirekt ein, die Kontrolle verloren zu haben. Die Behörden erklärten allerdings, der Transport mit Bussen zur Grenze sei eine einmalige Aktion gewesen.
UNGEBREMSTE EINREISE SOLL AUSNAHME BLEIBEN
Auch der stellvertretende deutsche Regierungssprecher Georg Streiter erklärte, jetzt müssen den Menschen geholfen werden. Wie lange die Ausnahmeregelung gelten solle, sei noch nicht entschieden. Steinmeier sagte nach einem Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg: "Die Hilfe in der gestrigen Notlage war verbunden mit der Mahnung, daraus keine Praxis für die nächsten Tage zu machen."
Die konservative Regierung in Budapest hat Deutschland für die chaotische Lage verantwortlich gemacht. Hintergrund ist die Zusage der Bundesrepublik, Syrer nicht in andere EU-Staaten zurückzuschicken. Auch deswegen wollen viele Flüchtlinge von Österreich aus weiterreisen. "Wir sind glücklich. Wir werden nach Deutschland gehen", sagte ein Syrer bei der Ankunft an der Grenze. Beim Fußmarsch auf der Autobahn hatten Flüchtlinge am Freitag Bilder von Kanzlerin Angela Merkel gezeigt.
MERKEL WILL TROTZ KRISE KEINE SCHULDEN MACHEN
Die Bundesregierung hat die Kritik zurückgewiesen und fordert eine verbindliche Quote zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU. Eine Einigung ist wegen des Widerstandes vor allem osteuropäischer Länder aber nicht in Sicht. Bei einem Treffen in Luxemburg blieben die EU-Außenminister in dieser Frage zerstritten. Steinmeier forderte einen Sondergipfel Anfang Oktober. Die Bundesregierung will auch erreichen, alle Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer einzustufen. Asylbewerber aus diesen Ländern werden zu fast 100 Prozent abgelehnt.
Deutschland nimmt in Europa mit Abstand die meisten Flüchtlinge auf. Die Bundesregierung erwartet in diesem Jahr nach eigenen Angaben 800.000 Neuankömmlinge. Manche Bundesländer gehen von einer Million aus. In vielen Gemeinden müssen Zeltlager errichtet oder Turnhallen umfunktioniert werden. Über die Krise berät am Sonntag große Koalition in Berlin.
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