Der Bundesregierung liegen erstmals Belege vor, dass die Terrororganisation "Islamischer Staat" im Nordirak mindestens einmal Senfgas eingesetzt hat. Am Freitag unterrichteten das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium die Sicherheitspolitiker des Bundestags. Demnach wurden nach einem Mörserangriff südlich der Kurden-Hauptstadt Erbil am 11. August entsprechende Proben positiv auf Senfgas getestet. Zudem würden die Symptome der bei dem Angriff verletzten kurdischen Peschmerga-Kämpfer auf den Einsatz von Senfgas hinweisen, so das Schreiben.
Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE hatten die USA die Bundesregierung vor etwa zwei Wochen darüber informiert, dass die Blutproben der Peschmerga positiv auf Senfgas getestet wurden. In dem Schreiben heißt es, in einer der Proben sei "ein positiver Nachweis" für Senfgas gefunden worden.
Die Bundesregierung hielt sich mit einer Bewertung auffällig zurück. Seit Tagen hatten die beiden Ministerien darüber beraten, ob und wie man den Bundestag über die brisante Information aus den USA unterrichten sollte. Bisher, so das Schreiben, sei nicht klar, in welcher Konzentration das Giftgas eingesetzt worden ist. Dazu seien weitere Untersuchungen notwendig.
Nach dem Mörserangriff nahe der Stadt Mahmur, etwa 60 Kilometer südlich von Erbil, hatten die Soldaten über starken Hustenreiz geklagt, der allerdings nach einiger Zeit nachließ. Schon damals hatte die kurdische Militärführung von einem Giftgaseinsatz gesprochen und auch die deutschen Bundeswehrsoldaten im Nordirak darüber informiert. Die Hinweise wurden so ernst genommen, dass Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen persönlich unterrichtet wurde.
Die Blutproben sind nun der erste handfeste Beleg, dass der "Islamische Staat" im Nordirak den gefährlichen Kampfstoff einsetzt. In den letzten Wochen hatte es immer wieder Verdachtsfälle gegeben, die aber nicht verifiziert werden konnten.
Kein erhöhtes Risiko für Soldaten
Trotz der Bestätigung des Giftgaseinsatzes sieht die Bundesregierung die deutschen Soldaten, die im Nordirak kurdische Kämpfer ausbilden, nicht in akuter Gefahr. Der "Islamische Staat" sei derzeit nicht in der Lage, den Raum Erbil mit Granaten zu beschießen. Dennoch schickt die Bundeswehr am Samstag zwei Giftgasexperten in den Irak. Sie sollen die Lage bewerten. Die Kurden seien schon vor der Attacke Mitte August mit Schutzmasken für mögliche Gasangriffe ausgestattet worden.
Bisher ist nicht klar, ob die IS-Kämpfer die Giftgas-Granaten aus Beständen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad erbeuteten oder anderweitig beschafftes Senfgas in konventionelle Granaten gefüllt haben. In Militärkreisen wird die Reaktion auf das Gas als ungewöhnlich bezeichnet. Neben dem Hustenreiz habe es keine Verletzungen oder gar Todesfälle gegeben - ein möglicher Hinweis auf eine recht geringe Konzentration des Giftgases.
Trotzdem stellt der Beweis des Senfgaseinsatzes eine neue Qualität des Krieges im Irak und in Syrien dar. Selbst wenn die Kämpfer des IS nicht über große Gasbestände verfügen, können sie die Waffe taktisch einsetzen. Aus Sicherheitskreisen hieß es, möglicherweise setze der IS das Gas vor allem zur psychologischen Kriegsführung ein, um die Bevölkerung einzuschüchtern.
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