Es ist erst ein paar Wochen her, da machte sich etwas Hoffnung breit im deutschen Sicherheitsapparat. Könnte es tatsächlich sein, fragten sich Polizisten und Nachrichtendienstler, dass die Zahl deutscher Terror-Touristen allmählich stagniert? Verliert der "Islamische Staat" (IS) an Anziehungskraft auf Extremisten in der Bundesrepublik?
Das scheint nicht der Fall.
Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen hat sich die Zahl der vermeintlichen Gotteskrieger, die aus Deutschland in das Krisengebiet Syrien und Irak gezogen sind, abermals leicht erhöht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) geht inzwischen von mehr als 730 ausgereisten Dschihadisten aus, die meisten sind jünger als 30 Jahre, etwa ein Fünftel von ihnen sind Frauen.
Über derzeit etwa 70 Personen liegen den Nachrichtendiensten Hinweise vor, dass diese an Kampfhandlungen beteiligt waren. Die Großteil der deutschen IS-Mitglieder wird demnach mit anderen Aufgaben betraut und etwa für Wach- und Transportdienste eingesetzt oder in der Propagandaabteilung verwendet.
Ein Drittel der Dschihadisten ist mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt. Rund 110 Islamisten aus der Bundesrepublik sind nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen in dem Krisengebiet gestorben. Damit hat sich die Zahl der Toten in den vergangenen zwölf Monaten mehr als verdoppelt.
"Als Kanonenfutter eingesetzt"
"Viele der jungen Leute, die Richtung Syrien ausgereist sind, sind sich offenbar immer noch nicht klar darüber, dass sie dort nur als Kanonenfutter eingesetzt werden", sagte BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen Ende Juli zu SPIEGEL ONLINE. "Die Nachrichtendienste wissen mittlerweile von über 20 Selbstmordattentätern, die auf diese Weise vom IS verheizt wurden."
Um zu verhindern, dass selbstberufene Gotteskrieger das Land verlassen und Terror in die Welt tragen, haben die deutschen Sicherheitsbehörden bislang zahlreiche sogenannte Ausreiseverbotsverfügungen verhängt. Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen bewegt sich deren Zahl aktuell im niedrigen dreistelligen Bereich.
Besonders aufmerksam verfolgen die Beamten derzeit, welche Wirkung das erste vollständig auf Deutsch produzierte Propagandavideo des IS entfachen kann. In dem etwa fünfminütigen Clip, der Anfang August im Netz aufgetaucht war, macht der aus Österreich stammende Islamist Mohammed Mahmoud Druck auf Unentschlossene, sich der Terrormiliz anzuschließen. Er richtet sich an Einzeltäter, die ohne große Vorbereitung wahllos morden sollen.
"Wir haben uns auf eine neue Art von Terrortaten einzustellen, auf Einzeltäter, Kleinstgruppen, die ohne große Planung Schrecklichstes, vielleicht auch spontan, tun", sagte der Chef des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, Torsten Voß, vor einigen Monaten im Interview mit SPIEGEL ONLINE.
Diese Strategie des "individuellen Dschihads" gewinnt immer mehr an Bedeutung. In einer vertraulichen Analyse der Sicherheitsbehörden heißt es, sogenannte "Lone Offender", also einzelne Angreifer, seien nur schwer aufzuspüren, ihre Taten kaum zu verhindern.
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