Die Ruhe auf dem Hügel ist, so wenige Kilometer von Dresden, fast unwirklich. Eine Sommeridylle, die Reha-Klinik mittendrin, ein trutzig-barockisierender Sanatoriumsbau wie aus Manns "Zauberberg", ringsum Wiesen und jener leichte Wind, den man eben in Dresden noch vermisste. Ein stärkerer Gegensatz zum Leben von Elwi Okaz, der hier seit ein paar Wochen in einem Einzelzimmer liegt, ist kaum vorstellbar. Vor sechs Wochen ist es in ein paar Minuten in Stücke gefallen, unten in der Stadt. Am Morgen des 1. Juli starb Marwa El-Sherbini, seine Frau, die Mutter seines dreijährigen Sohnes und im dritten Monat schwanger, vor seinen Augen im Verhandlungssaal 10 des Dresdner Landgerichts, von 18 Messerstichen getroffen. Sie wollten in wenigen Wochen nach Ägypten zurück. Elwis Doktorarbeit, für die er am Dresdner Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik geforscht hatte, war fertig. Marwa arbeitete wieder. Blieb die Sache mit dem Mann, den sie angezeigt hatte, weil er sie, die Kopftuch trug, auf einem Spielplatz als "Schlampe, Terroristin, Islamistin" beleidigt hatte, als sie ihn um einen Platz auf der Schaukel für ihren Kleinen bat. Die Geldstrafe, zu der das Gericht ihn verurteilt hatte, wollte er nicht akzeptieren. Also die nächste Instanz, ein neuer Termin. Sie wiederholt ihre Aussage. Danach geht der Mann mit dem Messer auf sie los. Ausgerechnet der brutale Tod seiner Frau hat Elwi Okaz ins Erzgebirgsidyll versetzt. Die Stiche, die Alex W. auch ihm zufügte, sind weitgehend verheilt. Das größere Problem ist die Schusswunde am Bein. Ein Polizist, der ihn für den Täter hielt, schoss im Handgemenge auf Elwi Okaz, als der verzweifelt versuchte, seine Frau zu schützen; der Schuss durchschlug den Unterschenkel. Die Ermittler, die in den vergangenen Wochen Minute für Minute rekonstruiert haben, was am 1. Juli um 10.20 Uhr in Saal 10 geschah, und die zu klären hoffen, wann genau der tödliche Stich Marwa El-Sherbini traf, werden dann womöglich auch Auskunft darüber geben können, ob sie ohne diesen Schuss auf ihren Mann noch am Leben wäre. Elwi Okaz ist erst einmal in Deutschland eingeschlossen. Vor seiner Tür steht 24 Stunden am Tag ein bulliger Wachmann, an dem nur Ärztinnen und Pfleger vorbeikommen. Der kleine Mustafa, der seit der Tat bei Marwas Familie in Alexandria lebt und nach dem der Vater sich sehnt, wird weiter auf ihn warten müssen. Okaz will zur Zeit diese Grenze zur Welt draußen, um Kraft zu sammeln, sagen die wenigen, die mit ihm sprechen konnten. Einen guten Monat soll die Therapie noch dauern. Und dann will Elwi Okaz kämpfen. Seine Doktorarbeit ist angenommen, der Doktorvater würde für alles, was noch nötig ist, auch nach Ägypten kommen. Aber Okaz will Deutschland noch nicht verlassen. Er wird am Prozess um den Mord an seiner Frau, der in wenigen Wochen beginnen soll, als Nebenkläger teilnehmen.
source : IRIB
Montag
15 Juni 2009
19:30:00
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Der Ehemann der in Dresden getöteten Marwa El-Sherbini will am Mordprozess teilnehmen - ihr Tod beginnt die Stadt zu verändern.