AhlolBayt News Agency (ABNA)

source : IQNA
Donnerstag

16 Juli 2020

10:40:10
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Die Heilige Weisheit ist bei der Hagia Sophia verloren gegangen

Die Tatsache, dass jemand, der niemals in der Hagia Sophia ein rituelles islamisches Gebet beten würde, dennoch das Verhalten der Westlichen Welt zutiefst verabscheut, legt die niemals aufhörende Herrenmenschenpolitik des „Weißen Mannes“ offen.

Wie die Ahlulbayt Nachrichtenagentur ABNA berichtet, Bevor ich auf die Hagia Sophia und das bevorstehende Freitagsgebet in jener Moschee eingehe, sind einige Vorworte notwendig, um den Text besser einstufen zu können.

Vorwort 1: Für seine Anhänger ist das Staatsoberhaupt der Türkei Erdogan ein großer Heiliger, der den Islam rettet. Für seine Feinde ist er schlimmer als der Satan. Beides sind Übertreibungen, die der aktuellen Weltlage nicht gerecht werden. Erdogan ist Präsident der Türkischen Republik. Und es sollte nicht als zu ungewöhnlich eingestuft werden, dass der Präsident der Türkei die Interessen der Türkei höher wertet als die Interessen des tagtäglich brutaler werdenden westlichen Imperialismus.

Vorwort 2: Im Islam gibt es eine Rechtsschule, die besagt, dass ein rituelles Gebet in einem gewaltsam seinem Eigentümer entrissenen Gebäude (insbesondere, wenn es sich um ein Gotteshaus handelt), ungültig ist. Selbst in einem Privathaus darf man nur dann ein rituelles Gebet verrichten, wenn der Eigentümer es erlaubt. Der Autor dieses Textes gehört jener Rechtsschule an, so dass meine Wenigkeit in der Hagia Sophia kein rituelles Gebet verrichten wird, unabhängig davon, ob es das Gebäude als Moschee oder Museum betrachtet wird.

Vorwort 3: Die Umwidmung einer Kirche in eine Moschee oder einer Moschee in eine Kirche ist kein singuläres Ereignis in Istanbul. Zypern ist auf beiden Seiten voll mit Kirchen und Moscheen, die einstmals der anderen Religion gehört haben. In ganz Spanien wimmelt es nur von Kirchen, die einstmals Moscheen waren, darunter auch sehr berühmte, wie die Kathedralmoschee von Córdoba. Allein der Name deutet darauf hin, dass die größte Moschee der Region seit der Reconquista die römisch-katholische Kathedrale in Córdoba ist [1]. Die Agios Titos auf Kreta ist eine ehemalige Moschee, die in eine orthodoxe Kirche umgebaut worden ist, nachdem Anfang des 20 Jh. die Muslime von der Insel vertrieben wurden. Ähnliche Bauten gibt es in Ungarn, Rumänien und Portugal. Es gibt aber auch jüngere „Umwidmungen“, die niemanden in der Westlichen Welt gestört haben. So ist im Jahr 2018 die historische Moschee in der Stadt Majdal von Israel in ein Museum und einen Schnapsladen umgebaut worden [2]. In Israel wimmelt es nur von solchen „Umwidmungen“.

Vorwort 4: Braucht Istanbul neue Moscheekapazitäten? Die Antwort lautet klipp und klar: Nein! Unmittelbar gegenüber der Hagia Sophia steht eine der größten Moscheen der islamischen Welt in Form der sogenannten Blauen Moschee. Istanbul ist die Stadt mit den meisten Moscheen weltweit und erst jüngst sind mehrere Großbauprojekte fertig gestellt worden [3] oder stehen kurz vor der Fertigstellung [4]. Die Umwidmung der Hagia Sophia trägt daher einen symbolischen Charakter sowohl nach Außen als auch nach Innen.

Nun zur Hagia Sophia: Die „Heilige Weisheit“ hat nichts mit der frühen Märtyrerin des Christentums gleichen Namens zu tun, wie es zuweilen vermutet wird, sondern soll auf den Heiligen Geist verweisen, der sich in der Weisheit der Menschen wiederspiegeln soll. Offensichtlich ist davon nicht mehr viel übriggeblieben. Die Hagia Sofia war die mit Abstand größte Kirche der Welt und zentrale Kirche Konstantinopels, der einstmaligen Hauptstadt der östlichen Christenheit. Es sei darauf verwiesen, dass die Eroberung der Stadt durch die Osmanen im 15. Jh. auch deshalb möglich geworden ist, weil die Westliche Welt, alle voran der Papst Roms, ihre Glaubensbrüder im Osten kläglich im Stich gelassen haben. Danach war das Gebäude fast fünf Jahrhunderte lang eine Moschee. Erst mit Atatürk wurde beim totalen Umbau der Türkei in einen westlichen Staat die Moschee in ein Museum umgewandelt. Fast ein Jahrhundert später sollen also wieder muslimische Gebete in jenem Gebäude stattfinden. Große Umbauten sind nicht nötig, da die historische Gebetsnische und die Kanzel genauso vorhanden sind, wie andere Elemente. Die in einer Moschee eher unüblichen bildlichen Darstellungen in Form von Fresken sind derart hoch angebracht, dass sie das muslimische Gebet nicht beeinträchtigen.

Eigentlich müsste die Westliche Welt sich ja freuen. Der Schachzug Erdogans könnte in großen Schachspiel des „Clash of Cultures“ [5] ein Baustein gegen die Muslimische Welt sein, denn so wird die in letzter Zeit zunehmend in die Arme der Muslime getriebene russisch-orthodoxe Kirche wieder in den westlichen Herrenmenschenverbund zurückbeordert. Zudem könnten sich westliche Touristen freuen. Mussten wie bisher rund 15 Euro Eintritt berappen und teilweise stundelang Schlange stehen, bis sie endlich in das Museum eintreten konnten, wird es jetzt kostenfrei und ohne Warteschlange möglich sein, wie bei allen Moscheen in Istanbul. Nicht zuletzt dürfte die kalte und dunkle Atmosphäre der Hagia Sophia im Winter sich durch Teppiche und Lampen aufwärmen.

Die EU reagierte auf die Entscheidung in alter Herrenmenschenmanier: EU-Chefdiplomat Josep Borrell hat erklärt, dass die EU-Außenminister diese Entscheidung Ankaras verurteilen und die türkischen Behörden aufrufen, sie dringend zu prüfen und rückgängig zu machen [6]. Doch was geht es die EU an, was die Türkei mit ihren Museen macht? Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn ist zwar nicht unbedingt ein mächtiger Politiker, aber er sah seine Chance auch mal wieder in den Medien erwähnt zu werden, indem er die geplante Umwandlung der Hagia Sophia als einen "Schlag gegen die Allianz der Zivilisationen" bezeichnet hat [7]. Die deutsche Bundesregierung bedauert die Umwandlung [8]. Und der Papst empfindet „großen Schmerz“, dass ein Museum in ein Gotteshaus umgewandelt wird [9].

Wie immer bei derartigen Konflikten besteht – trotz Internet und weltweiter Vernetzung – ein enormer Wahrnehmungsunterschied. Während der westliche Otto-Normal-Bürger, dessen Welt aus der Blase besteht, in die ihn die von ihm mitfinanzierten Presstituierten stecken, glaubt, dass es mal wieder Zeit wird, das Christentum zu verteidigen, übersieht er, dass die meisten Protestierenden gar nichts mit Gott zu tun haben wollen. Diejenigen, die sich jetzt als Retter der Hagia Sophia aufspielen wollen, beliefern die Saudis und ihre Verbündeten in Syrien mit Waffen, um die christlichen Kirchen in Syrien zu zerstören. Sie unterstützen Israel bei jedem Verbrechen gegen die Christen im Land Jesu!

Auch aus rein christlicher Sicht sollte doch die Möglichkeit, in einem Haus beten zu können – und das können auch Christen in einer Moschee besser als in einem Museum – Anlass zur Freude sein. Genau das ist einem hochrangigen Katholiken aufgefallen: Ausgerechnet ein Jesuit verweist darauf, dass eine Moschee als Gotteshaus eine nähere Beziehung zu Gott darstellt als ein Museum, welches ein laizistischer Staatschef eingerichtet hat. Prof. Dr. Dr. Felix Körner sagt: „Ich weiß nicht, ob Sie schon mal - ich jedenfalls sehr gerne - in einer Moschee gebetet haben. Das ist dann auch wirklich eine Gelegenheit für uns zu sagen: Gut, wir als gläubige Menschen können diesen Ort dann auch wieder nicht nur als tollen Kunstgegenstand, sondern auch als geistlichen Ort wahrnehmen und annehmen.“ [10]

Die Wahrnehmung in der muslimischen Welt ist – einmal mehr – dass die Herrenmenschen der Westlichen Welt sich in die inneren Angelegenheiten eines muslimischen Staates einmischen und denken, dass alle ihren Vorgaben bezüglich Werten, Wertevorstellungen und Freiheitsgötzenanbetung folgen müssen, bei völliger Missachtung jeglicher Gerechtigkeit. Die Reaktionen der Westlichen Welt waren leicht abschätzbar, denn Herrenmenschen reagieren immer wie Herrenmenschen. Genau das hat Erdogan für seine Zwecke genutzt. Nach Innen hat er das Signal gegeben, dass die Türkei wieder zu seinen muslimischen Wurzeln zurückkehren möchte. Der Westen hat bis heute den Schmerz nicht verstanden, dass viele Türken die Grabsteine ihrer Großeltern nicht lesen können, weil die Türken nach dem Zusammenbruch eine maroden Systems zwangsentislamisiert wurde. Nach Außen hat er das Signal gegeben, dass die Türkei sich immer mehr der muslimischen Welt annähert. Der Westen mag sich darüber gefreut haben, als die Türkei sich zusammen mit der imperialistischen Welt gegen den benachbarten Staatschef Assad gewandt hat. Aber inzwischen hat jeder in der Türkei verstanden, dass die Interessen der Westlichen Welt in Syrien nichts mit Menschenrechten zu tun haben, sondern übelste grausame Machtpolitik für die USA und Israel ist. Daher war die Türkei auch bei der letzten Auseinandersetzung in der UN bezüglich Grenzübergänge zu Syrien sehr zurückhaltend [11].

Eine sachlich vernünftige Einstellung zu dem Geschehen hat die Islamische Republik Iran eingenommen: Das iranische Außenministerium begrüßte die Entscheidung zwar aber: „Die Entscheidung über den Status der Hagia Sophia ist eine interne Angelegenheit der Türkei“, sagte der Sprecher des Ministeriums, Sayed Abbas Mousavi, gegenüber der Agentur Anadolu. „Dies ist ein Thema, das als Teil der nationalen Souveränität der Türkei betrachtet werden sollte“, fügte Mousevi hinzu [12].

Meine Wenigkeit freut sich schon auf den nächsten Türkei-Flug, sobald es die Rahmenbedingungen ermöglichen. Dann werde ich – so Gott will – sicherlich auch die Hagia Sophia besuchen. Ich werde in dem Gebäude kein rituelles Gebet verrichten. Aber ich werde mich dankbar auf den Teppich setzen und ein Bittgebet sprechen, dass die Heilige Sophia – die Heilige Weisheit – die Herzen der Menschen erfüllen möge und die erwarteten Erlöser des Islam und des Christentums Imam Mahdi und Jesus bald erscheinen mögen – so Gott will.

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